Warum österreichische Städte zu “Zero Food Waste”-Städten werden müssen

Lebensmittel

Was getan werden muss, um Lebensmittelverschwendung die Aufmerksamkeit zu geben, die sie braucht, haben wir die Kandidatinnen und Kandidaten der kommenden Wien-Wahl gefragt. Denn: Es sind intensive Maßnahmen nötig, um die 2030 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in Österreich zu erreichen. Obwohl Lebensmittelverschwendung eine große Bedeutung für die Klimakrise hat, spielt sie nur eine kleine Rolle in der Verwaltung der österreichischen Städte. Doch gerade in Städten besteht die Infrastruktur, das Wissen und die Macht, etwas gegen die enormen Überschüsse zu tun.

Vor fünf Jahren setzte die Generalversammlung der Vereinten Nationen optimistische Ziele für die Welt von morgen. Diese Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG), die vom Zugang zu Bildung bis hin zur Gleichstellung der Geschlechter reichen, beinhalteten auch die Vision, die weltweite Verschwendung von Nahrungsmitteln im Einzelhandel und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern bis 2030 zu halbieren. Auch Österreich wurde damit zum Handeln aufgefordert.

Obwohl der fünfjährige Jahrestag dieses Vorhabens schnell näher rückt, sind die hochgesteckten Ziele bisher nicht in die Tat umgesetzt worden. Regierungen, die ihre eigenen Pläne als Reaktion auf die SDGs erstellt haben, haben die Macht, für 50% der Weltbevölkerung einen Wandel herbeizuführen – wenn sie entsprechend danach handeln. Doch nur 15% der Regierungen weltweit messen überhaupt ihre Nahrungsmittelverschwendung, und nur wenige 12% ergreifen wirklich skalierbare Maßnahmen. In Österreich werden weiterhin jährlich mehr als eine Million Tonnen Lebensmittel verschwendet. Doch auch hier ist die Datenlage beschränkt: So fehlen nach wie vor genaue Zahlen für die  Landwirtschaft.

Wie geht es nun weiter? Einer der Gründe, warum die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung so schwierig erscheint, ist ihre Komplexität. Jedes Gesellschaftssegment hat spezifische und individuelle Herausforderungen: Es ist unwahrscheinlich, dass ein perfektes System zur Rettung von Lebensmitteln in einer Schulkantine das Problem der Kompostierung in Privathaushalten lösen kann. Das wird durch einen Mangel an Eigenverantwortung weiter verschlimmert: Nationale und internationale Ziele sind wichtig, aber sie können sich schnell wie das Problem der Anderen anfühlen.

Städte können den Unterschied machen

Städte verfügen über die Infrastruktur, die Beziehungen und das lokale Wissen, um Lebensmittelabfälle von etwas Abstraktem in etwas Greifbares zu verwandeln. Sie sind in der Lage, im Detail auszumachen, wo Lebensmittelabfälle anfallen und wissen, was und welche Mengen davon die Menschen in ihren Hausmüll werfen. Entsprechend können Stadtverwaltungen viel gezieltere Massnahmen ergreifen und den Fortschritt drastisch beschleunigen. Sie können aktiv dazu beitragen, den SDGs näherzukommen.

Städte haben auch einen gewissen zusätzlichen Druck, denn das Pariser Abkommen von 2015 verlangt von ihnen, die Treibhausgasemissionen um 40% zu senken – dieser Wert wird von der EU bis Ende 2020 wahrscheinlich auf 55% erhöht werden. Die Verringerung der Lebensmittelabfälle ist der beste Weg, um dorthin zu gelangen.

Das ist eine Gelegenheit, die sich Österreich nicht entgehen lassen darf. Städte befinden sich nicht nur in einer einzigartigen Position, um gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln vorzugehen, sie sind auch dafür verantwortlich, dass sie überhaupt erst entstehen. Sie sind ressourcenfressend und dicht bevölkert und für ganze 75% der globalen Kohlenstoff-Emissionen verantwortlich, obwohl sie nur 2% der Erde bedecken. Der Anteil an Lebensmittelverschwendung auf Verbraucherebene, also genau dann, wenn wir sie essen sollten, liegt in der EU bei 70%, und in den USA sogar bei 83%. In Österreich verursachen Haushalte mehr als die Hälfte der gesamten Lebensmittelverschwendung. Und das Problem wird sich noch verschärfen: Im Jahr 2050 werden zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Um eine Chance zu haben, die Ziele für 2030 zu erreichen, müssen die Städte anfangen, eine viel größere Rolle im Kampf gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln zu spielen.

Politische Führung muss konkrete Maßnahmen setzen

Einige privatwirtschaftliche Organisationen kämpfen bereits jetzt insbesondere auf städtischem Terrain gegen Lebensmittelverschwendung. Die Initiative “Lebensmittel sind kostbar!” des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus intensiviert zudem seit 2013 Österreichs Bemühungen gegen Lebensmittelverschwendung. Doch gerade auf politischer Ebene ist auch hierzulande noch viel zu tun: Im Zuge der Wien-Wahl stellte Too Good To Go allen kandidierenden Parteien die Frage, welche Maßnahmen sie im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung planen. Das Fazit: Auch wenn die Ansätze verschiedenen sind, bei wohl keinem anderen Thema gibt es unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit eine so starken Konsens, dass hier akuter Handlungsbedarf besteht. Da sich die politischen Ansätze sonst gerade zum Thema Umweltschutz  scheiden, ist die Politik gefragt, dieses Potenzial in der kommenden Legislaturperiode zu nutzen, um Lebensmittelverschwendung in der Hauptstadt stark zu reduzieren.

Aber einzelne Initiativen und Kampagnen können nur einen gewissen Beitrag leisten. Um den Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln gewinnen zu können, müssen wir einen Rahmen erstellen, der von den Städten überall genutzt werden kann. Dieser Rahmen sollte sich auf vier Kernprinzipien stützen: die Trennung von organischem Abfall von allen anderen Abfallarten; die Messung und Rückverfolgung dessen, was und von wem verschwendet wird; die Umverteilung überschüssiger Nahrungsmittel mit Hilfe einer der vielen frei verfügbaren kostengünstigen Lösungen; und schließlich die Verarbeitung aller Nahrungsmittel, die nicht gegessen werden können, in Energie, Treibstoff oder Tierfutter.

 Die Uhr zu den Klimazielen 2030 tickt immer lauter. Die Pandemie veranlasst viele von uns, ihre Beziehung zu Lebensmitteln zu überdenken. Jetzt sind Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Stadtverwaltungen am Zug. Es ist an der Zeit, politische Führung zu zeigen, um konkrete Ziele zu setzen und Hand in Hand mit der gesamten Stadt zu arbeiten, damit „Zero-Food-Waste“-Städte Realität in Österreich werden.

Anlässlich der Wien Wahl am 11. Oktober wollten wir wissen, was unsere Politikerinnen und Politiker über das Thema Lebensmittelverschwendung denken und welche Pläne sie für die kommende Legislaturperiode haben. Die Antworten der kandidierenden Parteien finden Sie hier in Form von Videostatements: https://bit.ly/3mXdhcq

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