40 Jahre Nieren-Selbsthilfe: Betroffene fordern mehr Aufmerksamkeit für rasante Zunahme von Nierenerkrankungen

Seit 40 Jahren engagiert sich die GND-WNB für die Anliegen von Nierenpatienten/-innen – und ist damit eine der ältesten Selbsthilfegruppen in Österreich. Aus Anlass des Jubiläums fordern Betroffene mehr Aufmerksamkeit und bessere Früherkennung für die unterschätzte Volkskrankheit Nierenschwäche, und eine bessere Absicherung der wichtigen Arbeit der Selbsthilfebewegung. Eine neue europaweite Erhebung stellt Österreich bei der Versorgung von nierenkranken Menschen ein gutes Zeugnis aus.

Wien, 27. Juni 2012 – Sie gehört zu den unterschätzten Volkskrankheiten mit dramatischen Zuwachsraten: Zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einer beeinträchtigten Nierenfunktion oder Niereninsuffizienz – in Österreich sind das rund  800.000 Menschen (in Wien rund 170.000; in Niederösterreich rund 160.000; im Burgenland rund 30.000). Tendenz steigend – dies schon aufgrund der steigenden Lebenserwartung und dem Funktionsverlust der Nieren im Alter, sowie wegen des  Anstiegs von Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Diabetes: „Diese Entwicklung bedeutet eine enorme Herausforderung für das Gesundheitswesen. In der Öffentlichkeit gibt es die Tendenz, nur die Spitze des Eisbergs wahrzunehmen, also jene Betroffenen, bei denen die Nierenfunktion bereits völlig ausgesetzt hat und die daher auf die Dialyse oder eine Transplantation angewiesen sind“, betont Kurt Dornheim, Präsident der Gesellschaft für Nierentransplantierte und Dialysepatienten – Wien, Niederösterreich, Burgenland (GND-WNB) aus Anlass des 40jährigen Jubiläums der Selbsthilfeorganisation. Mit ihrem jahrzehntelangen Engagement gehört die Nierenselbsthilfe zu den ältesten Selbsthilfegruppen in Österreich. „Es ist aber angezeigt, bereits in frühen Phasen auf Hinweise für Nierenprobleme einzugehen, lange bevor die Nierenersatztherapie der letzte Ausweg ist. Wie bei Diabetes oder Krebserkrankungen wäre es wünschenswert, im Rahmen der Gesunden-Untersuchung auch die Nierenfunktion effizient zu prüfen. Werden Nierenleiden rechtzeitig erkannt, kann eine Nierenersatztherapie verhindert oder zumindest verzögert werden. Das ist angesichts der Kosten von Dialyse und Transplantation auch gesundheitsökonomisch sinnvoll.“

Auch in der Versorgung von Menschen mit vollständigem Nierenversagen müssten die Strukturen dem steigenden Bedarf angepasst werden, betont Dornheim. „1987 hatten nur rund 2.500 Menschen in Österreich ein Nierenversagen, heute sind es mehr als 8.000. Hier muss auch in Zukunft, bei allen angestrebten Einsparungen im Gesundheitswesen, eine ausreichende bedarfsgerechte Versorgung sichergestellt werden.“

Wichtige Rolle für die Selbsthilfe

In der Beratung und Betreuung der zunehmenden Zahl von Nierenpatienten/-innen spielen Selbsthilfegruppen eine wesentliche Rolle. „In Zukunft wird das Engagement von Menschen in Selbsthilfegruppen noch wichtiger. Der authentische und vertrauensvolle Austausch zwischen gleichbetroffenen Menschen kann eine heilsame Funktion bei der Bewältigung gesundheitlicher Herausforderungen haben“, betont anlässlich des Selbsthilfe-Jubiläums der Schweizer Gesundheitsexperte Klaus Vogelsänger (Selbsthilfezentrum Bern).

„Nicht nur, aber vor allem auch im Gesundheitssektor werden die Einsparungen und Personalreduktionen immer spürbarer“, unterstreicht GND-WNB-Präsident Dornheim. „Wir sehen uns daher als Selbsthilfegruppe aufgerufen, für die Information von Patienten zu sorgen und Zusatzangebote bereitzustellen, die von den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen nicht angeboten oder finanziert werden. In diesem Sinn sind wir ein wichtiges Bindeglied zwischen Patienten, Ärzten und Pflege. Und dafür wollen wir auch Anerkennung und adäquate Rahmenbedingungen.“

Österreich: Hohe Therapiezufriedenheit – Optimierungspotenzial in manchen Bereichen

Eine kürzlich veröffentlichte europaweite Untersuchung der European Kidney Patients‘ Federation (CEAPIR) stellt Österreich im internationalen Vergleich in Sachen Nierentherapie ein gutes Zeugnis aus: 90 Prozent der Betroffenen hierzulande sind mit ihrer Behandlung „sehr zufrieden“ – im europäischen Durchschnitt geben dies nur 63 Prozent an. Und während in Österreich 80 Prozent der Patienten/-innen der Meinung sind, dass die Kosten einer Nierentherapie keinerlei Hürde dafür darstellen, dass sie diese auch bekommen, sind im Europa-Schnitt nur 67 Prozent dieser Meinung.

Insgesamt zeigt der Report, dass bei vielen Patienten/-innen ihre Nierenschwäche erst in einem sehr späten Stadium festgestellt wird: Europaweit musste mehr als ein Viertel der Betroffenen spätestens drei Monate nach der Erstdiagnose bereits mit der Dialyse beginnen.

Optimierungsbedarf im Vergleich zu anderen Ländern orten die Autoren/-innen der CEAPIR-Studie in Österreich in einzelnen Bereichen – etwa beim Anteil der Lebendspenden an der Gesamtzahl der Nierentransplantationen oder beim Anteil der Patienten/-innen, die eine Bauchfell- oder Heimdialyse machen.

Wachsender Bedarf an Dialyse

Rund 4.200 Menschen sind in Österreich derzeit auf eine regelmäßige Blutwäsche an der Dialyse angewiesen (Wien rund 920, Niederösterreich: rund 730; Burgenland: rund 150) – und der Bedarf steigt weiter kontinuierlich an: Der jährliche Neuzuwachs liegt bei mehr als 1.100 Patienten/-innen.

„Wir Ärzte wissen, dass die chronische Dialysebehandlung für unsere Patienten eine große Belastung darstellen kann", so Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Kovarik, Vorstand der 6. Medizinischen Abteilung im Wiener Wilhelminenspital. „Allen Patienten muss daher das Therapieziel klar und transparent gemacht werden. Nach dem Motto ‚wir dialysieren, um zu leben‘ soll die größtmögliche physische, psychische, soziale und berufliche Rehabilitation erreicht werden.“

Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen, rund 90 Prozent, wird in Österreich per Hämodialyse behandelt, bei der die Patienten/-innen dreimal wöchentlich ein Dialysezentrum aufsuchen müssen. Zehn Prozent machen eine Bauchfell- oder Peritonealdialyse (PD). Diese kann – nach ausführlicher Schulung – von Patienten/-innen selbst oder mit Unterstützung von Angehörigen zuhause oder auch unterwegs durchgeführt werden. Hier besteht nach Einschätzung vieler Experten/-innen für Österreich durchaus noch Potenzial: In den Niederlanden oder Skandinavien beträgt der Anteil der  PD-Patienten/-innen 20 bis 30 Prozent.

„Die Option, eine Hämodialyse zu Hause durchzuführen, gibt es in Österreich so gut wie gar nicht“, so Elisabeth Kahnert, Geschäftsführerin der GND-WNB. „Das hat unter anderem auch mit den unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen der Bundesländer zu tun. Vielleicht bringt hier die soeben beschlossene Gesundheitsreform mit einer Förderung des extramuralen Sektors Bewegung ins System.“

Transplantation: Gute Versorgung in Österreich  – Lebendspende als Strategie gegen den Tod auf der Warteliste

Seit 1965 im Wiener AKH erstmals erfolgreich eine Nierentransplantation durchgeführt wurde, hat sich diese Therapieform als zentrale Säule in der Versorgung von Menschen mit Nierenversagen etabliert. Die medizinischen Fortschritte sind beeindruckend: Ein Jahr nach der Transplantation funktionieren in Österreich noch deutlich mehr als 90 Prozent der Spendernieren, die Zehnjahresfunktion der Transplantate liegt bei beachtlichen 80 Prozent.

„Die Transplantation ist in Österreich sehr versorgungswirksam. 50 Prozent aller Patienten mit Nierenersatztherapie sind erfolgreich transplantiert. Das ist ein deutlich höherer Anteil als in vielen anderen Ländern“, betont Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Mühlbacher, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie (AKH Wien/MedUni Wien). Zum Vergleich: In Deutschland stehen 75.000 Dialysepatienten/-innen nur 25.000 Nierentransplantierte gegenüber. „Das ist nur möglich, wenn das gesamte Gesundheitssystem an der Organspende von toten Menschen mitarbeitet, aber auch der Altruismus von lebenden Organspendern für Angehörige, Freunde oder Partner gefördert wird.“

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie z.B. Deutschland gilt in Österreich die sogenannte Widerspruchsregelung: Hat der/die Verstorbene nicht zu Lebzeiten ausdrücklich eine Organentnahme ausgeschlossen, könnten beim Hirntod die Organe entnommen werden, es wäre keine ausdrückliche Genehmigung durch die Angehörigen notwendig.

Trotzdem ist auch hierzulande das lebenswichtige Gut Spenderorgan zunehmend knapp: Ende 2010 warteten laut Österreichischem Dialyse- und Transplantationsregister rund 900 Menschen auf eine Spenderniere (Wien: 160; Niederösterreich: 140; Burgenland: 20). Die durchschnittliche Wartezeit beträgt knapp zweieinhalb Jahre – und immer wieder versterben Betroffene während dieser Zeit.

Ein Ausweg aus dem Dilemma der Organknappheit ist die Lebend-Nierenspende. Dabei wird einem Gesunden, in der Regel einem nahen Angehörigen oder Lebenspartner/-in, eine Niere entnommen und dann dem/der Nierenkranken implantiert. „Durch eine Lebendspende ermöglichen Spender eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung der Organ-Empfänger. Lebend-Spender schenken Leben, sie sind die neuen Helden unserer Gesellschaft“, betont Elisabeth Kahnert. „Das müssen wir noch stärker ins Bewusstsein der Menschen bringen.“ Österreich liegt mit einem Lebendspenden-Anteil von knapp zehn Prozent bei der Nierentransplantation unter den Lebendspende-Anteilen in anderen Ländern wie etwa der Schweiz (23 Prozent), Schweden (36 Prozent) oder den USA (über 50 Prozent).

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