Botox gegen Gangstörungen bei Kindern

EFORT 2013: Europäischer Orthopädiekongress mit 7.500 Teilnehmern/-innen in Istanbul

Wenn Kleinkinder unfreiwillig auf den Zehen gehen, kann es sich um eine Gangstörung, den idiopathischen Zehengang, handeln. Vergeht die Störung nicht von selbst oder durch Physiotherapie, könnten Botox-Injektionen Besserung bringen. Das legt eine auf dem EFORT Kongress in Istanbul präsentierte Studie nahe.

Istanbul, 8. Juni 2013 – Botox-Injektionen in die Waden können bei Kindern, die unter idiopathischem Zehenspitzengang leiden, deutliche Besserung bringen. Das zeigt eine neue italienische Studie, die im Rahmen 14. Kongresses der Europäischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie (EFORT) in Istanbul vorgestellt wurde. Dort diskutieren 7.500 Experten/-innen aktuelle Entwicklungen des Fachgebiets.

In die Pilotstudie wurden neun Kinder mit einem mittleren Alter von 7,6 Jahren und idiopathischem Zehenspitzengang, der auf andere Therapieversuche nicht angesprochen hatte, eingeschlossen. Kinder mit neurologischen Störungen waren ausgeschlossen. Die Patienten/-innen erhielten Injektionen von Botulinomtoxin A in die Wadenmuskulatur und zur Unterstützung der medikamentösen Therapie Knöchel-Fuß-Orthesen sowie ein Programm von Dehnungsübungen. Jeweils ein und drei Monate nach den Injektionen wurden die Ergebnisse evaluiert. Nach drei Monaten hatte sich bei den Kindern der Gang signifikant verbessert.

Vielfältige Ursachen

Das Problem, das hier auf innovative Weise angegangen wurde, ist kein seltenes. „Mit fünf Jahren zeigen etwas mehr als zwei Prozent der neurologisch sonst unauffälligen Kinder einen Zehengang“, sagte Studienautorin Prof. Isabella Fusaro (Istituto Ortopedico Rizzoli, Bologna). Der Zehengang bleibt nicht ohne Folgen. Fehlentwicklungen des Fußes, Rückenschmerzen, Probleme mit der Wirbelsäule und psychologische Schwierigkeiten drohen. Vor der Therapie kommt jedoch die gründliche Diagnostik. Wenn Kinder beim Gehen vermehrt den Vorfuß belasten oder sogar auf Zehenspitzen gehen, kann das nämlich unterschiedliche Gründe haben. Hinter der Ganganomalie können sich neurologische Erkrankungen verbergen, sie kann jedoch auch idiopathisch, also ohne erkennbare Ursache auftreten, wobei eine deutliche genetische Komponente beobachtet wird. Schwere psychiatrische Störungen, zerebrale Erkrankungen, orthopädische Ursachen, sowie neuromuskuläre und neurodegenerative Erkrankungen müssen im Rahmen der Diagnose zunächst ausgeschlossen werden. Selbst beim idiopathischen Zehenspitzengang können diagnostisch noch mehrere Typen unterschieden werden. Bei vielen Betroffenen gibt sich das Problem innerhalb relativ kurzer Zeit von selbst, bei anderen jedoch nicht. In der Therapie gibt es viele verschiedene Ansätze und relativ wenig Evidenz. Prof. Fusaro: „Die Behandlung hängt vom Alter und der Ausprägung der Gangstörung ab. Versucht werden unter anderem Physiotherapie, Gipsen, verschiedene orthopädische Schuhe und Einlagen oder in schweren Fällen die chirurgische Verlängerung der Achillessehne bzw. der Wadenmuskulatur.“

Chirurgische Interventionen sollten freilich nur einen letzten Ausweg darstellen. Eine mögliche Alternative ist die vorübergehende Chemodenervation der Wadenmuskulatur mittels Botulinum-Toxin. Diese führt zu einer erzwungenen Entspannung des Gastrocnemius- und des Soleus-Muskels und damit zu einer Verbesserung des Gangbildes. So die Theorie, die bislang aber nur in Fallberichten, kaum jedoch in klinischen Studien bestätigt wurde. Die aktuelle Arbeit liefert nun zusätzliche Evidenz für die Behandlung mit Botulinum-Toxin. Prof. Fusaro: „Damit haben wir jetzt erstmals Studiendaten zum Einsatz von Botox beim idiopathischen Zehengang. Es war allerdings nur eine kleine und nicht kontrollierte Studie. Auf Basis der Ergebnisse planen wir nun eine randomisierte, kontrollierte Studie, bei der die Kontrollgruppe nur mit einer Orthese und Gymnastik behandelt wird.“

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) ist die Dachorganisation orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 42 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 43 Ländern und sechs assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Das Ziel der Mitgliedsgesellschaften ist es, den Austausch von wissenschaftlichem Fachwissen und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems zu fördern. EFORT organisiert europäische Konferenzen, Schulungen, Kurse, Foren und Kongresse. Ferner werden von EFORT Grundlagenforschung und klinische Forschung initiiert und unterstützt.

Quelle: EFORT Abstract 3943: Clinical and instrumental evaluation of botulinum toxin effects on the “idiopathic toe walking”: a pilot study

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