EHFG 2011: Zivilisationskrankheiten bremsen Wirtschaftswachstum

Todesursache Nummer Eins: Mehr als 63 Prozent der Todesfälle gehen weltweit auf sogenannte nicht-übertragbare Erkrankungen zurück,in der WHO-Region Europa sogar 86 Prozent. Die direkten und indirekten volkswirtschaftlichen Kosten sind enorm –in einer Dimension, die in den von der Krise angeschlagenen Volkswirtschaften das Wirtschaftswachstum bedrohen.

Therapeutische Ansätze greifen zu kurz, betonte EHFG-Vorstandsmitglied und Weltbank-Stratege Dr. Armin Fidler. Wirksame Präventionsmaßnahmen sind eine Aufgabe aller Politikbereiche, nicht nur der Gesundheitspolitik.
Bad Hofgastein, 5. Oktober 2011 – Der kontinuierliche Anstieg der sogenannten nichtübertragbaren Krankheiten, also typischer Lebensstil-Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen oder chronische Lungenbeschwerden, kann für Volkswirtschaften ruinös sein. „Wenn die Häufigkeit nichtübertragbarer Erkrankungen um zehn Prozent zunimmt, bedeutet das ein Minus im Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent“, sagte heute Dr. Armin Fidler, Strategischer Berater für Gesundheitspolitik bei der Weltbank, auf dem European Health Forum Gastein (EHFG). „Die indirekten Kosten dieser Erkrankungen übersteigen die direkten bei weitem, für die von der Krise ohnehin bereits angeschlagenen Volkswirtschaften bedeutet das ein großes Risiko. Es ist also klar, dass die Massen-Epidemie Lebensstil-Erkrankungen längst nicht mehr nur ein Problem der Gesundheitspolitik allein ist.“
Die konkrete Umsetzung der Ergebnisse des kürzlich zu diesem Thema abgehaltenen UNO-Gipfels und künftige Strategien, um auf europäischer Ebene wirksame Interventionen gegen diesen Trend zu setzen, oder die Frage, wie Europa in Sachen Prävention aus den Erfahrungen in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel Asien, lernen kann: Dies waren heute Thema einer hochkarätigen Sitzung über nichtübertragbare Krankheiten beim EHFG. Wobei nicht nur die gesundheitliche, sondern auch die ökonomische Dimension die Experten/-innen beschäftigte. In den USA beispielsweise verursachten sieben nichtübertragbare Krankheiten, nämlich Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, psychische Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen und Schlaganfall, in einem Jahr mehr als eine Billion US-Dollar an volkswirtschaftlichen Kosten, vorwiegend aufgrund von Produktivitätsverlust – „nur“ 300 Milliarden davon gehen auf das Konto von direkten Behandlungskosten.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegs-Erkrankungen, Diabetes und Krebs machen in den 53 Ländern der WHO-Region Europa 77 Prozent der Krankheitslast aus und sind die Ursache für 86 Prozent aller Todesfälle. Aber nicht nur in den reichen Ländern, auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern gewinnt die Gruppe der sogenannten „Zivilisationskrankheiten“ enorm an Bedeutung, weltweit sind sie für 63 Prozent der 57 Millionen weltweiten Todesfälle verantwortlich, wie der Global Status Report der WHO zeigt. „Die Epidemie der nicht übertragbaren Krankheiten ist längst auch in den Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen angekommen. Früher hat man sich im globalen Rahmen stark auf Infektionskrankheiten als Gesundheitsbedrohung konzentriert. Es ist erfreulich, dass sich die internationale Aufmerksamkeit nun auch auf höchster Ebene verstärkt auf das Problem der nichtübertragbaren Krankheiten fokussiert – denn sie haben einen dramatischen Einfluss nicht nur auf die Gesundheitssysteme, sondern auf die wirtschaftliche Entwicklung als Ganzes“, so Dr. Fidler, der auch Vorstandsmitglied des EHFG ist. „Mindestens so wichtig wie die Diagnose der weltweiten Bedrohung durch nichtübertragbare Krankheiten sind jetzt aber wirksame Interventionen. Viele Länder suchen den Ausweg aus dieser krisenhaften Entwicklung in der klinischen Medizin, es wird immer noch mehr therapiert, diagnostiziert oder interventionell gearbeitet. Aber auf diesem Weg ist das Problem nicht zu lösen, schon aus Kostengründen.“
Wirksame Präventionsmaßnahmen seien nicht nur nötig, sondern hätten längst auch ihren ökonomischen Nutzen bewiesen, beschrieb Dr. Fidler eine aktuelle Untersuchung zum belegten Return of Investment von zielgerichteter Prävention: „Eine Studie der Weltbank hat den Kosten-Nutzen-Effekt von Lebensstil-Interventionen bei Menschen mit hohem Diabetesrisiko aufgezeigt. Wird ein Präventionspaket mit Fokus auf Ernährungsberatung und Bewegung angeboten, kann in einem Niedriglohnland jeder so investierte Dollar mindestens zwei Dollar an Behandlungskosten einsparen. Bei Ländern mit mittleren Einkommen liegt die Ersparnis sogar bei über drei Dollar. Maßgeschneiderte Prävention rechnet sich eindeutig auch ökonomisch.“
Prävention sei aber keineswegs, wie oft missverstanden, auf Gesundheitsaufklärung und Appelle für einen gesünderen Lebensstil beschränkt, betonte Dr. Fidler. „Maßnahmen gehen über die typischen Aufgabenbereiche von Gesundheitsministerien hinaus, und müssen auch den gesetzlichen und strukturellen Rahmen schaffen, sie brauchen daher ein konzertiertes Vorgehen aller Politikbereiche. Das ist eine typische Querschnittmaterie – von der Besteuerung von Alkohol, Tabak und vielleicht sogar ungesunden Lebensmitteln, über gesetzliche Verbote bestimmter gesundheitsschädlicher Substanzen oder Maßnahmen des Umweltschutzes und der Verkehrspolitik bis hin zu freiwilligen Verpflichtungen bestimmter Industriesektoren. Diese wichtigen Gesundheitsziele lassen sich nur erreichen, wenn alle Sektoren zusammenarbeiten, der Gesundheitssektor allein kann das nicht umsetzen.“
Erst kürzlich haben Experten/-innen in einem in Lancet veröffentlichten Artikel Präventionsmaßnahmen nach Kosten-Nutzen-Relation, Wirksamkeit und Machbarkeit bewertet und einige Top-Prioritäten empfohlen: Verstärkte Tabak-Kontrolle, Salzreduktion, die Förderung von gesunder Ernährung und Bewegung und die Reduktion von Alkoholmissbrauch. „Konzertierte Anstrengungen in all diesen Bereichen könnten die gesellschaftlichen Kosten der nichtübertragbaren Krankheiten mindestens halbieren“, so Dr. Fidler.
Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen Union, mehr als 600 Entscheidungsträger/-innen aus 45 Ländern diskutieren hier zentrale Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme.
EHFG Forum 2: “Nichtübertragbare Krankheiten”.  Mittwoch, 5. Oktober 2011
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