EFORT Kongress: Gelockerte Hüftgelenksprothesen: Biologischer Knochenaufbau statt Metall und Zement

Durch die neue Methode des „ImpactionGrafting“ können ausgetauschte Hüftgelenksprothesen statt durch Zement inechter Knochenmasse befestigt werden. Auf dem Europäischen Orthopädiekongress(EFORT) in Berlin forderten Experten die breite Anwendung dieses neuenVerfahrens, weil es vor allem jüngeren Patienten die Möglichkeit einesweiteren, schonenden Prothesentausches offenhält – im Gegensatz zu denkomplikationsträchtigen bisher gängigen Verfahren.

Berlin, 23. Mai 2012 – Durch die stetig steigende Lebenserwartung und die Tatsache, dass Hüftgelenksendoprothesen heute auch zunehmend jüngeren Patienten eingesetzt werden, müssen immer mehr künstliche Hüftgelenke im Lauf der Zeit ausgetauscht werden, bei manchen Patienten bis zu vier Mal. „Während herkömmliche Verankerungsmethoden mit Zement oder Metallbefestigungen die verbliebene Knochensubstanz schädigen und daher jede weitere Revisionsoperation immer schwieriger und komplikationsträchtiger machen, wird die Prothese mit der neuen Technologie des ‚Impaction Grafting´zementfrei im Knochen verankert. Der Knochendefekt wird durch fremdes Knochenmaterial ersetzt, das sich dann im weiteren Verlauf umbauen soll“, erläuterte Prof. Dr. Dieter Christian Wirtz, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsklinik Bonn heute auf dem 13. Kongress der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) in Berlin. Prof. Wirtzist Co-Gastgeber des wissenschaftlichen Großereignisses, auf dem rund 7.000 Experten aus aller Welt zusammenkommen. „Die Option einer biologischen Knochenrekonstruktion ist damit Wirklichkeit geworden – ein enormer Fortschritt, der für alle Patienten, bei denen er anwendbar und aufgrund ihres Alters sinnvoll ist, zum Standard werden sollte.“

Komplikationsquelle Prothesenlockerung

Rund 500.000 künstliche Hüftgelenke werden in Europa jährlich eingesetzt, allein in Deutschland 200.000. Häufig muss die Erstprothese durch eine neue ersetzt werden – in Deutschland etwa jährlich in 30.000 Fällen. „Immer mehr Hüftendoprothesen müssen mehrfach gewechselt werden. Auch ein dritter und vierter Wechsel ist heute bereits realistisch. Das Problem dabei ist die zunehmende Aushöhlung bzw. Beschädigung des Oberschenkelknochens durch die bisher gängigen Zement- und/oder Metallverankerungen, sodass die Befestigung des jeweils neuen Gelenksersatzes immer schwieriger und schließlich ganz unmöglich wird“, so Prof. Wirtz. „Wenn immer größere Teile des Oberschenkelknochens durch Metall, also eine immer längere Prothese, ersetzt werden müssen, steigt die Infektionsrate von unter einem Prozent auf bis zu 25 Prozent. Die fehlenden Muskelansätze am Knochen führen zu Beeinträchtigungen beim Gehen sowie zu Luxations-Raten von bis zu 30 Prozent. Wenn schließlich der gesamte Oberschenkelknochen durch eine Prothese ersetzt werden muss, ist zur Ankoppelung an den Unterschenkel auch eine Kniegelenksprothese nötig, was zwar das Bein erhält, aber ein normales Gangbild unmöglich macht. Wir suchen daher schon lange nach knochenschonenderen Prothesenverankerungen.“

Die Vision der Forscher war es, Knochen dazu anzuregen, sich um die Prothese neu zu bilden und in diese einzuwachsen. Die Erfolge waren allerdings bescheiden – bis zur Entwicklung der neuen Methode des zementfreien „Impaction Grafting“. Schwammartiges Knochenmaterial, das anderen Patienten beim Einsetzen einer Gelenksprothese entnommen wurde, wird zusammengepresst und mit Druck in die Röhre des Oberschenkelknochens eingebracht. Die zementfreie Prothese kann so in einer festen, komprimierten Masse aus Biomaterial verankert werden. „Bei ausreichender Durchblutung bewirkt diese Verdichtung, dass der eigene Knochen der Patienten den fremden annimmt, sich umbaut und in ihn einwächst“, so Prof. Wirtz. „Der so biologisch rekonstruierte Knochen verhält sich wie der ursprüngliche eigene, und sollte ein weiterer Prothesentausch nötig werden, ist die Ausgangslage dafür durch das aufgebaute Knochenlager signifikant verbessert.“

Innovationsoll in die breite klinische Anwendung kommen: Mehrkosten zahlen sich aus

Auf dem EFORT-Kongress in Berlin wurden die Möglichkeiten der neuen Technologie diskutiert. Denn jetzt soll es gelingen, dass die operationstechnische Innovation zum allgemeinen Behandlungsstandard wird. „Durch ‚Impaction Grafting’ funktioniert die biologische Knochenrekonstruktion jetzt so zuverlässig, dass sie vom Probestadium in die breite klinische Anwendung übergeführt werden sollte“, forderte Prof. Wirtz. „Das heißt, wo immer eine biologische Knochenrekonstruktion aufgrund des Zustands des Knochens, der Durchblutung und des Alters des Patienten möglich und sinnvoll ist, sollte sie auch eingesetzt werden. Die Operation ist zwar langwieriger und teurer, und auch der Umbau des Knochens dauert länger als die Aushärtung des gewohnten Zements. Dafür wird aber der nächste Prothesentausch einfacher, schonender, mit weniger Komplikationen und daher letztlich auch kostengünstiger.“

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology, kurz EFORT, ist die Dachorganisation orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 42 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 43 Ländern und sechs assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Die teilnehmenden Gesellschaften wollen den Austausch wissenschaftlichen Fachwissens und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems verbessern. EFORT organisiert europäische Konferenzen, Schulungen, Kurse, Foren und Kongresse. Ferner werden von ihr grundlegende und klinische Forschungsarbeiten ins Leben gerufen und unterstützt.

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