EFORT Kongress in Berlin: Dekade der Verkehrssicherheit: Zahl der Unfall-Toten soll halbiert werden

Rund 1,3 Millionen Tote pro Jahr fordertder Autoverkehr weltweit, und wenn nicht gegengesteuert wird, werden es im Jahr2020 1,9 Millionen sein, vor allem durch die wirtschaftliche Entwicklung in denSchwellenländern. Verkehrsunfallprävention ist daher ein Schwerpunktthema aufdem Europäischen Orthopädiekongress (EFORT) in Berlin. In Unterstützung der vonder WHO ausgerufenen „Dekade zur Reduktion von Verkehrsunfällen 2011 bis 2020“forderten Experten, die Erkenntnisse etwa der deutschen Erfolgsgeschichte derUnfallprävention in Staaten mit steigendem KFZ-Aufkommen frühzeitig umzusetzen,um schmerzhafte Erfahrungen nicht wiederholen zu müssen.

Berlin, 23. Mai 2012 – „Fast 1,3 Millionen Menschen starben im Jahr 2009 auf den Straßen dieser Erde. Vor allem in Schwellenländern, in denen das KFZ-Aufkommen aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs stark zunimmt, steigen auch die Unfallzahlen drastisch, sodass wir im Jahr 2020 weltweit rund 1,9 Millionen Verkehrstote zu beklagen haben werden – wenn wir nicht gegensteuern“, warnte Dr. Manjul Joshipura, Experte für die Therapie von Unfallfolgen bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, heute auf dem 13. Kongress der European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology (EFORT) in Berlin. „Daher hat die WHO 2011 die Dekade der Reduktion von Verkehrsunfällen 2011 – 2020 ausgerufen. Ziel ist es, die Zahl der Todesopfer auf den Straßen auf rund 900.000 zu verringern.“ Auf dem wissenschaftlichen Großereignis, bei dem rund 7.000 Orthopäden und Unfallchirurgen aus aller Welt zusammenkommen, ist Verkehrsunfallprävention einer der Schwerpunkte. Neben der Diskussion neuester Forschungsergebnisse sollen die Erfahrungen erfolgreicher Unfallreduktionsprogramme wie etwa des deutschen für andere Staaten nutzbar gemacht werden.

Globaler Killer KFZ-Verkehr

Der Straßenverkehr ist ein mächtiger Killer: Rund 3.500 Verkehrstote gibt es täglich, etwa gleich viele wie durch Tuberkulose und mehr als jene, die durch Malaria sterben. Das bedeutet 2,1 Prozent aller Todesfälle und die elfthäufigste Todesursache überhaupt. Zusätzlich weisen WHO-Schätzungen als Verkehrsunfallfolgen weltweit 20 bis 50 Millionen Verletzte und den höchsten volkswirtschaftlichen Schaden durch verlorene Lebensjahre aus. „Wenn wir nichts unternehmen, werden im Jahr 2030 Verletzungen durch Verkehrsunfälle weltweit die fünfthäufigste Todesursache sein“, so Dr.Joshipura. „Mindestens die Hälfte davon lassen sich vermeiden.“

WHO-Kampagne: Fünf MillionenLeben retten – vor allem in ärmeren Ländern

Der Einsatz dafür lohnt sich: „Wenn es gelingt, den globalen Trend umzukehren und die Zahl der jährlichen Verkehrstoten ab sofort zu senken, werden wir damit bis 2020 nicht weniger als fünf Millione nMenschenleben gerettet haben“, rechnete Dr. Joshipura vor. „Die Potenziale für eine solche Senkung sind allerdings nicht überall die gleichen, weil die Länderdes industrialisierten Westens bereits sehr viel zur Unfallprävention getan haben. Unsere Sorgenkinder sind die Schwellenländer, die wirtschaftlich und hinsichtlich des Wohlstands in einem dynamischen Aufholprozess stehen. Sie verzeichnen enorme Steigerungsraten an zugelassenen Kraftfahrzeugen, ohne dass die Qualität des Straßennetzes und vor allem der gesetzlichen Regelungen damit mithalten würden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Wissens- und Erfahrungstransfers aus jenen Ländern, die Prävention bereits erfolgreich umgesetzt haben.“

Statistisch gesehen ist Armut einer der größten Risikofaktoren für Verkehrsunfälle, und zwar vor allem für ungeschützte Verkehrsteilnehmer, also Fußgänger und Radfahrer: In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sterben pro 100.000 Einwohner 21,5 bzw. 19,5 Menschen an Verkehrsunfällen, in Ländern mit hohem Einkommen nur 10,3. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen verzeichnen 90 Prozent der weltweiten Verkehrstoten, obwohl sie über lediglich 48 Prozent der zugelassenen KFZ verfügen. Während in den USA und Kanada 65 Prozent der Verkehrstoten Fahrzeuginsassen sind, zählen etwa in der Westlichen Pazifikregion 70 Prozent der Todesopfer zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern.

Musterknaben und Sorgenkinder

Obwohl die verfügbaren internationalen Daten aufgrund unterschiedlicher Erhebungs- und Berechnungsmethoden nicht vollständig vergleichbar sind, zeigt die Statistik doch: Während die Zahl der Unfalltoten in den OECD-Ländern tendenziell abnimmt (mit Spanien, Portugal und Frankreich als den Ländern mit der größten Reduktion) und in Südamerika (z.B. Chile, Brasilien oder Peru) gleich bleibt bis leicht steigt, hat sie sich in Schwellenländern wie Bangladesh oder Burma von den 90er-Jahren bis 2007 in etwa verdoppelt, in afrikanischen Ländern wie Benin oder Kamerun verdoppelt bis verdreifacht und in Kambodscha seit 1995 sogar versechzehnfacht.

Eine Demarkationslinie ist aber auch innerhalb Europas festzustellen, wo die Verkehrstoten von 2000 bis 2010 EU-weit von 54.300 auf 30.700 fast halbiert werden konnten. „Die deutlichsten Reduktionen gelangen in den Ländern Westeuropas, während östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs zum Teil sogar weitere Steigerungen zu verzeichnen sind, zum Beispiel in Rumänien und Bulgarien“, berichtete Doz. Dr. Carl Haasper (Klinik für Unfallchirurgie, Universitätskrankenhaus Hannover) auf dem EFORT-Kongress. „2009 lag der EU-Schnitt bei 70 Verkehrstoten pro Million Einwohner, wobei in Rumänien (130), Griechenland (129), Polen (120) sowie Lettland (112), Litauen (110) und Bulgarien (118) der größte Handlungsbedarf besteht. Am vorbildlichen anderen Ende rangieren Großbritannien (38), Schweden, die Niederlande (je 39), die Schweiz und Norwegen (je 45) sowie Deutschland (51), Finnland (52), Island (53)und Irland (54).“

Erfolgsmodell Deutschland: Wie Verkehrsunfallverhütung funktioniert

Wie Unfallopfer vermieden werden können, zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel Deutschlands: „Kam die damalige Bundesrepublik im Jahr 1965 bei lediglich 17 Millionen KFZ auf mehr als 21.000 Verkehrstote pro Jahr, so waren es 2010 bei über 50 Millionen Fahrzeugen nurmehr 3.648“, so Doz. Haasper.

Die Stationen dieser Erfolgsgeschichte waren sukzessive Verbesserungen auf mehreren Ebenen. „Auf der Ebene gesetzlicher Vorschriften sehen wir jeweils deutliche Abnahmen der Verkehrsopferzahlen durch die Einführung von Tempo 100 auf Landstraßen, der 0,8- und nunmehr 0,5-Promille-Grenze für Alkohol am Steuer, sowie durch die Einführung der Helmtragepflicht, der Gurtenpflicht und der Sicherungspflicht für Kinder. Weitere Fortschritte wurden durch Verbesserungen der Fahrzeugtechnologie wie verpflichtenden Knautschzonen, Airbags oder ABS, sowie durch ein sichereres Straßendesign wie nachgebende Seitenbebauung, räumliche Trennung desmotorisierten vom unmotorisierten Verkehr oder Kreisverkehre erreicht. Für jene Unfälle, die dennoch geschehen, hat auch die Perfektionierung der Rettungskette zur Reduktion der Todesopfer beigetragen.“
 
Prävention funktioniert: Aus Erfahrungen lernen

„Die Lehre daraus lautet: Prävention funktioniert! Während wir hier im Westen unsere Erfahrungen schmerzhaft machen mussten, können die heutigen Schwellenländer von uns lernen, die sonst vorhersagbare Epidemie an künftigen Verkehrstoten wirksam zu vermeiden“, so Doz. Haasper aufdem EFORT-Kongress. „Während wir hier im Westen den unteren Anschlag ziemlich erreicht haben und durch weitere technische Innovationen wie etwa Abstandshalter nur mehr marginale Verbesserungen erreichen können, haben die meisten anderen Länder noch ein enormes Unfallverhütungspotenzial: Bisher hat weniger als die Hälfte der WHO-Mitglieder eine wirksame Gesetzgebung bezüglich der fünf wichtigsten Risikosenker, nämlich Alkoholbeschränkung, Geschwindigkeitsbeschränkung, Helmpflicht, Gurtenpflicht und Kindersicherungspflicht. Nur 15 Prozent haben diesbezüglich umfassende Regelungen. Es lohnt sich umzusetzen, was uns hier in Deutschland so spektakulär geholfen hat.“

Hintergrund EFORT

Die European Federation of National Associations of Orthopaedics and Traumatology, kurz EFORT, ist die Dachorganisation orthopädischer Fachgesellschaften in Europa. EFORT wurde 1991 im italienischen Marentino gegründet. Heute gehören ihr 42 nationale Mitgliedsgesellschaften aus 43 Ländern und sechs assoziierte wissenschaftliche Organisationen an.

EFORT ist eine Non-Profit Organisation. Die teilnehmenden Gesellschaften wollen den Austausch wissenschaftlichen Fachwissens und von Erfahrungen in der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen des muskuloskelettalen Systems verbessern. EFORT organisiert europäische Konferenzen, Schulungen, Kurse, Foren und Kongresse. Ferner werden von ihr grundlegende und klinische Forschungsarbeiten ins Leben gerufen und unterstützt.

Quelle: Download WHO-Report on Road Safety:whqlibdoc.who.int/publications/2009/9789241563840_eng.pdf

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