EHFG 2011: Globalisierung der Gesundheitspolitik erfordert koordiniertes Vorgehen – Experten/-innen diskutieren WHO-Reform

Die Globalisierung betrifft längst auch die Gesundheitssysteme – und erfordert starke internationale Koordinierungsmechanismen. Wie die WHO im Ensemble mit neuen Akteuren auf dem internationalen Gesundheitsparkett ihre führende Rolle in der Steuerung globaler Gesundheitsfragen behaupten kann, diskutierten Experten/-innen beim European Health Forum Gastein.

Unter den wichtigen Fragen im Reformprozess der Organisation ist die Rolle, die nichtstaatliche Organisationen, aber auch internationale Unternehmen künftig neben den Mitgliedsstaaten spielen könnten.
Bad Hofgastein, 5. Oktober 2011 – „Die Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Gesundheitsproblemen verliert auf der globalen Bühne ihre Bedeutung, die Globalisierung verändert die Gesundheitspolitik nachhaltig. So wie die Finanzwelt ist das Gesundheitswesen längst auch global interdependent“, betonte Prof. Dr. Ilona Kickbusch, Direktorin des Global Health Programme am Graduate Institute, Genf, und Vorsitzende der Global Health Europe Task Force, heute beim European Health Forum Gastein (EHFG). „Daher wird die Steuerung zentraler gesundheitspolitischer Fragen auf globaler Ebene immer wichtiger, aber auch immer schwieriger.“ Dies unter anderem deshalb, weil in den vergangenen Jahren immer mehr Akteure in internationalen Gesundheitsfragen tätig wurden, so die Expertin. „Gesundheit ist auf globaler Ebene nicht mehr ausschließliche Domäne von Regierungen. Große private Stiftungen wie die Bill und Melinda Gates Foundation, zahlreiche NGOs, und natürlich die Gesundheitsindustrie gewinnen hier an Bedeutung und Einfluss.“
Für die Weltgesundheitsorganisation WHO stelle sich angesichts derartiger Entwicklungen ein Reformbedarf, um ihre Position als zentraler globaler Player auf dem Gesundheitsbereich zu behaupten. Dazu gehören Fragen einer effektiveren Organisation und die Diskussion um die grundsätzliche Orientierung. „In der derzeit laufenden WHO-Reformdebatte geht es nicht zuletzt um eine Neuausrichtung des Kerngeschäfts der Organisation“, so Prof. Kickbusch. „Hier stellt sich unter anderem die Frage, ob die Organisation stärker normativ, also in der Entwicklung internationaler Abkommen, oder stärker operativ tätig sein soll.“
Von zentraler Bedeutung – und deshalb heftig diskutiert – seien die Reform der Verwaltung und der Finanzierung der Organisation. „Von der WHO wird immer mehr erwartet und verlangt, gleichzeitig wird es immer schwieriger diese Ansprüche der Mitgliedsstaaten zu finanzieren“, erklärte Prof. Kickbusch. Mit ein Problem ist die spezielle Budgetorganisation: Neben dem regulären Budget, das sich aus dem Pflichtbeitrag der Mitgliedsländer zusammensetzt, gibt es ein auf freiwilligen Zahlungen der Mitgliedsstaaten beruhendes Sonderbudget für spezielle operative Aufgaben, das Verhältnis der beiden Töpfe beträgt 75:25. „Zwischen diesen Töpfen hat die Organisation derzeit wenig Flexibilität, und die Struktur führt oft auch zu sehr unbefriedigenden Wettbewerbssituationen innerhalb der Organisation“, so die Expertin. „Erschwerend kommt hinzu, dass die wenigsten Mitgliedsstaaten eine auf nationaler Ebene koordinierte und kohärente WHO-Politik haben. Da kommt es dann schon vor, dass im einen Gremium Vertreter/-innen von Gesundheitsministerien Prioritäten für die Organisation beschließen und für die regulären Mitgliedsbeiträge zuständig sind, und andererseits Vertreter/-innen der staatlichen Entwicklungshilfe desselben Landes über die außerordentlichen Zuwendungen diese Prioritäten konterkarieren.“
Hier seien im Reformprozess nicht nur die Organisation selbst, sondern vor allem auch die Mitgliedsstaaten gefordert, die ihre WHO-Strategie innerstaatlich besser abstimmen und durch mehr Expertise in der Organisation vertreten sein sollten. „Bei der UNO in New York ist es üblich, dass die Botschaften Experten/-innen haben, die sich zum Beispiel ausschließlich um Menschenrechte kümmern. Es wäre wünschenswert, wenn sich in den Ständigen Vertretungen in Genf auch das Konzept von für die WHO zuständigen Gesundheitsattachés durchsetzen würde.“
Heftig diskutiert wird aber im Reformprozess auch, berichteten Experten/-innen beim EHFG, ob neben den Mitgliedsstaaten auch andere Akteure/-innen des globalen Gesundheitssystem mehr Möglichkeiten bekommen sollen, sich in die WHO einzubringen. „Besonders strittig ist hier gar nicht die Frage einer NGO-Beteiligung, sondern wie sehr die Industrie ihre Stimme in die Organisation einbringen soll“, so Prof. Kickbusch. Die Diskussion dreht sich dabei nicht nur um die Pharma- und Medizintechnikindustrie, die zum Teil karitativ tätig ist und zum Beispiel Arzneimittel kostenlos zur Verfügung stellt, sondern auch um die IT-Industrie, die Nahrungsmittelindustrie oder die Alkoholindustrie. „Da die größten Gesundheitsprobleme der Welt inzwischen sehr lebensbezogen sind und Ernährung, Alkohol, Rauchen, etc. betreffen, geht es hier natürlich auch um ganz andere Interessen und ganz andere Industrien“, so Prof. Kickbusch. Besonders die NGOs seien sehr besorgt und fürchten, dass die Industrie zu viel Einfluss in die normative Arbeit der WHO gewinnen könnte.
Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen Union, mehr als 600 Entscheidungsträger/-innen aus 45 Ländern diskutieren hier zentrale Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme.
EHFG Workshop 2: “Global Health: New developments in global health governance”.  Mittwoch, 5. Oktober 2011
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