EHFG 2012: Maßnahmen gegen den Klimawandel haben direkte positive Gesundheitseffekte

Weniger Menschen, die an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, an bestimmten Krebsarten oder Atemwegsbeschwerden leiden:

Maßnahmen gegen den Klimawandel sind nicht nur essenziell für die Umwelt, sondern haben auch wichtige positive Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus der Bevölkerung und die Belastung der Gesundheitssysteme, betonte beim European Health Forum Gastein Prof. Andy Haines. Für eine optimale Nutzung der positiven Nebeneffekte engagierter Klimapolitik fordert der Experte eine intersektorielle und globale Zusammenarbeit.

Bad Hofgastein, 4. Oktober 2012 – „Zweifellos stellt der Klimawandel auch die Gesundheitssysteme vor große und unausweichliche Herausforderungen. Aber der dringend notwendige Kampf gegen den Klimawandel bringt auch viele Chancen für die Gesundheit und Einsparungen bei Krankheitskosten, manchmal auch kurzfristig feststellbare Effekte. Dieser Nutzen wurde von der Politik bislang zu wenig beachtet“, betonte heute Sir Andy Haines, Professor an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, beim European Health Forum Gastein (EHFG).

Im Rahmen der „Task Force on Climate Change Mitigation and Public Health“ hat Prof. Haines mit Kollegen/-innen aus aller Welt in einer Reihe von Arbeiten aufgezeigt, wie viele Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen auch zu signifikanten Gesundheitsverbesserungen führen können. Die Untersuchungen sollten das Ausmaß der positiven Effekte für die Gesundheit einschätzen, die sich durch eine konsequente Umsetzung von regionalen und nationalen Programmen zur Reduktion von Treibhausgasen ergeben. Erforscht wurden die Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Elektrizitätsversorgung, häuslicher Energieverbrauch (Heizen und Kochen) sowie Ernährung und Landwirtschaft.

Auf die direkten und indirekten Folgen des Klimawandels für die Gesundheit verweist auch die Europäische Kommission: Direkte Folgen sind etwa die Auswirkung von Hitze und Kälte. So verursachten beispielsweise die Hitzewellen im Sommer 2003 mehr als 70.000 zusätzliche Todesfälle. In den EU-Mitgliedstaaten steigt die hitzebedingte Mortalität schätzungsweise um ein bis vier Prozent, je Grad des Temperaturanstiegs, d. h., die hitzebedingte Sterblichkeit könnte bis 2030 um 30.000 Todesfälle pro Jahr und bis 2080 um 50.000 bis 110.000 Todesfälle pro Jahr ansteigen. Indirekte Folgen des Klimawandels sind erzwungene Migration (etwa aufgrund von Dürreperioden oder Überflutungen) oder die Zunahme temperaturabhängiger Infektionskrankheiten. In den letzten Jahrzehnten wurde in Europa bereits ein Anstieg solcher Auswirkungen beobachtet.

Alternativen zum Autoverkehr fördern Gesundheit und reduzieren Treibhausgase

Maßnahmen, um den Autoverkehr in der Stadt zurückzudrängen und dafür Radfahren und Gehen im urbanen Raum attraktiver zu machen, wären nicht nur dem Klima zuträglich, sondern auch dem Gesundheitsstatus der Stadtbewohner/-innen. Eine Reduktion der durch Verbrennungsmotoren verursachten Luftverschmutzung wirkt sich positiv auf die Lungenkrebsrate und die Häufigkeit mancher Atemwegserkrankungen aus. Regelmäßige Bewegung zu fördern, würde auch Vorteile im Kampf gegen viele Krankheiten bringen, die im Zusammenhang mit Bewegungsmangel stehen. „In London ließe sich beispielsweise der CO2-Ausstoß um beinahe zwei Fünftel verringern, wenn man Maßnahmen setzen würde, um gewisse Wege nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen und sich dadurch die Gehdistanz verdoppelt und die mit dem Rad gefahrenen Strecken verachtfachen, wenn man von einem niedrigen Ausgangswert ausgeht. Das würde zu einem prognostizierten Rückgang von zehn bis etwa 20 Prozent des Risikos bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen führen, zwölf bis 13 Prozent der Brustkrebsfälle ließen sich verhindern, Demenzraten könnten um rund acht, Depressionsraten um rund fünf Prozent gesenkt werden. Solche Maßnahmen können auch wesentlich dazu beitragen, die Kosten zur reduzieren, die dem Gesundheitssystems durch chronische Krankheiten wie Diabetes entstehen“, berichtete Prof. Haines. Durch die vermehrte körperliche Aktivität im Alltag sind auch positive Effekte auf das weitverbreitete Problem Übergewicht und Adipositas zu erwarten – ohne Gegensteuerung rechnet etwa der Foresight Report bis 2050 mit Übergewichtsraten von 60 Prozent bei Männern, 50 Prozent bei Frauen und 25 Prozent bei Kindern unter 16 Jahren.

Die Vorteile für die Gesundheit würden bei weitem den möglichen Anstieg von Verkehrsunfällen übersteigen. Um mehr Menschen dazu zu motivieren, das Auto stehen zu lassen, bedarf es allerdings Maßnahmen, um Akzeptanz, Attraktivität und Sicherheit von Zufußgehen und Radfahren zu erhöhen. „Es ist schwierig, sich aktiver, gesünder und umweltverträglicher fortzubewegen, wenn man kein Umfeld hat, in dem man das ungefährdet tun kann“, betonte Prof. Haines. Hier sei die lokale Verkehrspolitik gefragt, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.

Heizen und Kochen ohne Rauchentwicklung

Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken, haben unterschiedlich große Bedeutungen in verschiedenen Weltregionen. So sind beispielsweise die gesundheitsförderlichen Auswirkungen der Reduktion der Schadstoff-Emission durch häusliches Heizen und Kochen in Europa zwar immer noch bedeutsam, aber wesentlich geringer als etwa in Indien. In Südasien, China und vielen Teilen Afrikas und Lateinamerikas wird noch größtenteils mit offenem Feuer oder ineffizienten Herden – und entsprechender Rauchentwicklung – in den Wohnräumen gekocht und geheizt, eine Tatsache, die weltweit zu zwei Millionen vorzeitigen Todesfällen beiträgt. Einige dieser Schadstoffe, wie etwa Ruß, tragen ebenfalls zum Klimawandel bei. Mit einer Umstellung ließen sich viele Fälle von rauchbedingten Atemwegserkrankungen bei Kindern verhindern sowie COPD und ischämischer Herzkrankheit bei Erwachsenen und somit Millionen von Menschen vor einem frühzeitigen Tod bewahren. „Indien hat bereits ein Programm gestartet, das versucht, die Bevölkerung mit kostengünstigen und schadstoffarmen Kochstellen zu versorgen. Ein Herd kostet nur rund 50 Dollar, eine vergleichsweise kostengünstige Präventionsmaßnahme“, so Prof. Haines.

Stromversorgung ohne fossile Brennstoffe

Die Elektrizitätsgewinnung durch die Verbrennung fossiler Brennstoffen, insbesondere Braun- und Steinkohle, führt zu Feinstaubbelastung. Der zu erzielende Gesundheitseffekt in Europa ist gegenüber dem von Indien oder China geringer, da es in Europa für die Energiegewinnung bereits vergleichsweise effektive Umweltauflagen gibt. Dennoch würde ein noch weitergehender Verzicht auf die Verwendung fossiler Brennstoffe zur Stromgewinnung bis zum Jahr 2030 der EU-Bevölkerung weitere 100 sogenannte DALYs („disablity adjusted life years“ / „behinderungsbereinigte Lebensjahre“ – eine Messzahl, bei der Sterblichkeit und die Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens durch eine Krankheit zusammengerechnet wird) pro Million Einwohner bringen – und entsprechende Einsparungen für die Gesundheitssysteme.

Ernährung und Landwirtschaft: Weniger Fleischkonsum ist gut für Klima und Herz

Die Ernährung umzustellen und zum Beispiel jeden dritten Hamburger wegzulassen, wäre für Klima und Herz vorteilhaft, wie Prof. Haines beim EHFG vorrechnete: „Eine 30-prozentige Reduktion des Konsums gesättigter Fettsäuren tierischen Ursprungs würde in Großbritannien zu einer rund 15-prozentigen Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Wir können davon ausgehen, dass der Effekt in anderen europäischen Staaten ähnlich wäre.“ Ein klarer Zusatznutzen also über die positiven Effekte reduzierten Fleischkonsums für das Klima wie die Tatsache, dass weniger Wald zur Gewinnung von Weideland und den Anbau von Futtermitteln abgeholzt wird, dass weniger weltweiter Fleischtransport stattfindet und weniger Tiere schädliches Methangas produzieren.

Gesundheitsökomische Nebeneffekte könnten Klimaschutz kofinanzieren

Nicht jede Klimaschutzmaßnahme sei allerdings notwendigerweise ein Gewinn für die Gesundheit. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung müsse für jede einzelne Klimaschutzmaßnahme unter Berücksichtigung zahlreicher unterschiedlicher Faktoren durchgeführt werden, betonte Prof. Haines: „Bei Diskussionen um die Auswahl und Priorisierung von Klimaschutzmaßnahmen und deren Kosten sollte der Aspekt des Nutzens für die Gesundheit mitberücksichtigt werden. Denn der gesundheitsförderliche Effekt kann Teile – in manchen Bereichen auch alle – Kosten der Maßnahmen ausgleichen.“ Gerade die angenommenen hohen Kosten für umweltfreundliche Technologien und Prozesse verhindern häufig deren Umsetzung und somit positive Entwicklungen. Die Erwägung des „Zusatznutzens“ der Klimaschutzmaßnahmen für die Gesundheit könnte allerdings einen zusätzlichen Anreiz für Entscheidungsträger/-innen darstellen, um Klimaschutzmaßnahmen zu implementieren. Prof. Haines ruft daher auf, „die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsexperten/-innen, politischen Entscheidungsträger-/innen und Wissenschaftler/-innen zu stärken, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen. Die Zusammenarbeit muss dabei sowohl auf nationaler wie auf globaler Ebene geschehen, da nur so den Bedrohungen durch den Klimawandel begegnet werden kann.“

Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen Union, mehr als 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern diskutieren vom 3. bis 6. Oktober 2012 bereits zum 15. Mal zentrale Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme.

Fotos zum diesjährigen European Health Forum Gastein finden Sie unter http://www.ehfg.org/940.html.

EHFG Pressebüro
Dr. Birgit Kofler
B&K Kommunikationsberatung GmbH
Tel. während des Kongresses: +43 6432 3393 239
Mobil: +43 676 636 89 30
Tel. Büro Wien: +43 1 319 43 78 13
E-Mail: presse@ehfg.org

Weiteres Bildmaterial