EHFG 2012: Unterschätzte Gefahr Nierenerkrankungen

Ungeachtet ihrer Häufigkeit werden Nierenerkrankungen zu wenig als weitreichendes medizinisches und gesundheitspolitisches Problem wahrgenommen, kritisierten Experten/-innen beim European Health Forum Gastein (EHFG).

Denn Patienten/-innen mit terminalem Nierenversagen, die entweder mittels Dialyse vor dem Tod gerettet werden können oder eine Nierentransplantation benötigen, stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Die Lebendspende kann die Wartezeit auf eine Spenderniere verkürzen und bringt viele Vorteile. Altbundeskanzler Dr. Franz Vranitzky berichtet auf dem EHFG über seine Erfahrungen mit der Lebendspende.

Bad Hofgastein, 4. Oktober 2012 – Geschätzte 250.000 Menschen in der EU leiden an einem terminalen Nierenversagen, sind also auf eine Dialyse oder Transplantation angewiesen. In Österreich leben mehr als 4.000 Menschen dank regelmäßiger Dialyse, noch einmal so viele haben eine gespendete Niere, berichtet Prim. Univ.-Prof Dr. Erich Pohanka (AKH Linz), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie (ÖGN), beim EHFG. In der Öffentlichkeit, aber auch seitens der Gesundheitspolitik gibt es eine Tendenz, im Zusammenhang mit Nierenerkrankungen nur diese relativ kleine Gruppe Betroffener wahrzunehmen, kommentiert der ÖGN-Präsident bei einer von ihm präsidierten Veranstaltung: „Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.“

„In Europa haben rund zehn Prozent der Bevölkerung eine zumindest leicht eingeschränkte Nierenfunktion. Das sind etwa 50 Millionen Menschen in der EU, in Österreich 800.000“, so Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz (Leiter der Klinischen Abteilung für Nephrologie, MedUni Graz). „Schon angesichts der demographischen Entwicklung – Niereninsuffizienz nimmt mit dem Alter zu – bedeutet das eine vielfach unterschätzte Herausforderung für die Gesundheitssysteme. Aufklärung ist hier ebenso notwendig wie gezielte Präventionsstrategien.“

Eines der Probleme des „stillen Leidens“ Nierenschwäche: Symptome treten oft erst nach jahrzehntelanger Erkrankung auf, weshalb die schlechter werdende Funktion der Niere von Betroffenen nicht bemerkt und häufig auch nicht diagnostiziert wird. Doch auch eine leichte Niereninsuffizienz ist nicht harmlos, warnt Prof. Rosenkranz. „Bei einer Nierenfunktionseinschränkung von mehr als 50 Prozent sind etwa Dosierungseinschränkungen bei verschiedenen Medikamenten zu beachten. Und eine Nierenschwäche wirkt sich ungünstig auf das Herz-Kreislauf-System aus. Da die Erkrankung der Nieren meist das Ergebnis von Bluthochdruck und Diabetes ist, geraten die Betroffenen in einen Teufelskreis von Risikofaktoren.“

Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion sterben daher auch deutlich häufiger an kardialen Ursachen oder einem Schlaganfall als Nierengesunde – in vielen Fällen lange bevor ihre Nierenerkrankung offensichtlich wird. Die European Kidney Health Alliance fordert daher auch ein gezieltes Screening von Patienten/-innen mit einem hohen Risiko, eine Niereninsuffizienz zu entwickelt, also zum Beispiel Personen mit hohem Blutdruck und/oder Diabetiker/-innen.

Gemeinsame Entscheidung für die optimale Therapie

Bei einem Teil der Betroffenen schreitet die Nierenkrankheit bis zum terminalen Nierenversagen fort. Für sie wird eine Nierenersatztherapie – also entweder Hämodialyse, Peritonealdialyse oder Nierentransplantation – notwendig. Die Transplantation kommt, so Prof. Rosenkranz, für rund ein Viertel der Patienten an der Dialyse in Frage, weil bestimmte Begleiterkrankungen ausgeschlossen werden müssen. Prof. Rosenkranz: „Vor Beginn der Therapie müssen die Patienten/-innen über die Therapiemöglichkeiten ausführlich aufgeklärt werden. Auf dieser Basis soll eine gemeinsame Entscheidung über die im individuellen Fall optimale Form der Nierenersatztherapie getroffen werden. Hier müssen sowohl persönliche Aspekte, als auch medizinische Notwendigkeiten einfließen.“

Transplantation hat medizinischen und gesundheitsökonomischen Nutzen

Nierenversagen stellt nicht zuletzt auch eine erhebliche Belastung für die Gesundheitssysteme dar. Bereits jetzt fließen in Europa mindestens zwei Prozent der Gesundheitsbudgets in Dialyse und Nierentransplantation. Nach Angaben der European Kidney Health Alliance könnte dieser Wert in den kommenden Jahren gegen fünf Prozent gehen.

„Die Transplantation ist sowohl was Lebensqualität, Lebenserwartung als auch Kosten betrifft den anderen Nierenersatztherapien überlegen“, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Rainer Oberbauer (Krankenhaus der Elisabethinen, Linz). Eine rezente Kostenanalyse in Österreich zeigt ab dem zweiten Jahr deutlich niedrigere Behandlungskosten im Vergleich zur Dialyse – bei deutlich verbesserter Lebensqualität der Transplantationspatienten/-innen. Prof. Oberbauer: „Die medianen jährlichen Therapiekosten für Patienten/-innen an der Hämodialyse betragen in Österreich etwa 44.000 Euro in den ersten zwölf Monaten und bleiben danach in ungefähr diesem Bereich. Im Gegensatz dazu sind nach einer Transplantation die Kosten im ersten Jahr mit etwa über 50.000 Euro etwas höher, gehen danach aber auf weniger als die Hälfte zurück. Ab dem dritten Jahr nach der Transplantation betragen die jährlichen Behandlungskosten durchschnittlich 13.000 Euro pro Jahr, das ist also weniger als ein Drittel der Kosten, die durch Hämodialyse entstehen würden, und das bei deutlich besserer Lebensqualität.“

Eine entscheidende Voraussetzung für die Transplantationsmedizin ist allerdings die Verfügbarkeit von Spenderorganen. Auf Grund der durchschnittlichen Wartezeit von drei Jahren soll in Zukunft die Lebendspende weiter gefördert werden. Derzeit kommen in Österreich nur rund zehn Prozent der transplantierten Nieren von Lebendspendern/-innen, in Norwegen sind es schon 80 Prozent. Das hat Vorteile, die über die Verfügbarkeit von Organen hinausgehen, so Prof. Oberbauer: „Die Überlebensraten von Patienten/-innen und Transplantaten sind bei einer Lebendspende deutlich besser als nach konventioneller Nierentransplantation.“

Alt-Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky berichtete auf der EHFG-Veranstaltung über seine persönlichen positiven Erfahrungen mit einer Lebendspende.

Gesetzliche Regelung über Organtransplantation wird überarbeitet

„In Folge der EU-Richtlinie über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe muss in Österreich die gesetzliche Regelung über Organtransplantation überarbeitet werden“, berichtet Dr. Maria Kletecka-Pulker (Institut für Ethik und Recht in der Medizin, MedUni Wien). Dieses neue Organtransplantationsgesetz (OTPG) wird derzeit begutachtet und erhält erstmals explizite rechtliche Regelungen für eine Lebendspende.

„Organe dürfen nur freiwillig und unentgeltlich gespendet werden. Dies schließt aber nicht aus, dass der Spender eine angemessene Entschädigung für Verdienstentgang und andere angemessene Ausgaben bekommt“, zitiert Dr. Kletecka-Pulker zentrale Passagen des Gesetzesentwurfes. Da es sich bei der Entnahme der Niere nicht um einen medizinisch indizierten Eingriff handelt, ist eine umfassende ärztliche Aufklärung verpflichtend, auf die der Spender auch nicht verzichten kann. Für den Empfänger stellt die Transplantation im Gegensatz zum Spender einen medizinisch notwendigen Eingriff dar, der sich nach den allgemeinen Regelungen richtet: So ist für die Durchführung der Transplantation die Einwilligung der Patienten/-innen und die medizinische Indikation erforderlich. Liegt eine der Voraussetzungen nicht vor, darf der Eingriff nicht durchgeführt werden, denn Patienten/-innen können eine medizinische Maßnahme ablehnen. Dr. Kletecka-Pulker: „Selbstverständlich muss auch der Empfänger umfassend ärztlich etwa hinsichtlich der Risiken aufgeklärt werden.“

Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der Europäischen Union, mehr als 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern diskutieren vom 3. bis 6. Oktober 2012 bereits zum 15. Mal zentrale Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme.

Fotos zum diesjährigen European Health Forum Gastein finden Sie unter http://www.ehfg.org/940.html.

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