Schlaganfall: Bessere Vorbeugung bei Vorhofflimmern, minimalinvasive Operationsmethode gegen Blutgerinnsel im Gehirn

Bessere Medikamente zur Schlaganfall-Prävention bei Vorhofflimmern, gute Erfolge bei der Entfernung von Blutgerinnseln im Gehirn mittels schonender Operation: Forscher vermelden auf dem Europäischen Neurologenkongress in Prag Fortschritte im Kampf gegen den Schlaganfall, die zweithäufigste Todesursache. Auch für das Problem, dass sich in einer Reihe von Fällen Infarkt-bedingte Gehirnschäden trotz Behandlung weiter ausbreiten, gibt es vielversprechende neue Forschungsansätze.

Prag, 11. Juni 2012 – „Bei jährlich 16 Millionen Neuerkrankungen weltweit und 5,5 Millionen Todesfällen ist der Schlaganfall die zweithäufigste Todesursache und eine der relevantesten medizinischen Herausforderungen überhaupt. Umso erfreulicher, dass wir sowohl in der medikamentösen Vorbeugung als auch in der Akuttherapie deutliche Fortschritte berichten können.“ Das sagte Prof. Dr. Guido Stoll (Neurologische Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg) heute auf dem 22. Kongress der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS), auf dem in Prag mehr als 3.000 Experten/-innen zusammenkommen.
Zu den wichtigsten aktuellen Entwicklungen zählen komplikationsärmere Medikamente zur Verhinderung der Thrombenbildung bei der Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern, die durch Embolisation zu einer Verstopfung von Blutgefäßen des Gehirns (ischämischer Schlaganfall) führen kann. Aber auch verbesserte therapeutische Möglichkeiten sind zu verzeichnen: die Möglichkeit der minimalinvasiven Entfernung des blockierenden Blutgerinnsels bei akuten Infarkten. Dazu kommen noch aktuelle Erkenntnisse über Mechanismen, die an „Reperfusionsschäden“ beteiligt sind: am Fortschreiten des Gehirnschadens trotz Entfernung oder Auflösung des Blutgerinnsels.
Vorhofflimmern: Bequemere Thrombose-Prophylaxe mit gleicher Wirkung und geringerem Komplikationsrisiko
Vorhofflimmern, von dem EU-weit mehr als 4,5 Millionen Menschen betroffen sind, ist an rund 10 Prozent aller ischämischen Schlaganfällen beteiligt: Durch den unregelmäßigen Herzschlag können sich Blutpfropfen (Thromben) im linken Vorhof des Herzens bilden. Lösen sich diese und werden in Richtung Gehirn gespült, können sie einen Schlaganfall auslösen. „Die Prophylaxe gegen diesen Risikofaktor ist nun einfacher und sicherer geworden, bei gleicher Wirksamkeit“, erklärte Prof. Stoll. Die bisherige Standardtherapie zur Vorbeugung gegen die Thrombenbildung, das blutverdünnende Mittel MarcumarR, hatte die großen Nachteile eines beträchtlichen Blutungsrisikos und einer großen, u. a. ernährungsabhängigen Schwankungsbreite der Aufnahme und damit seiner Schlaganfall-verhütenden Wirkung. Diese erforderte regelmäßige Gerinnungskontrollen im Blut und häufige Dosisanpassungen.
„Zwei für diese Indikation kürzlich neu zugelassene Medikamente, der Thrombin-Inhibitor Dabigatran und der Gerinnungsfaktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban, setzen neue Standards“, so Prof. Stoll: „Die gleiche Wirkung in der Verhütung von Gehirnembolien, aber ein viel geringeres Risiko der besonders gefürchteten Hirnblutungen bei verlässlichen Wirkspiegeln in fest vorgegebenen Dosierungen, sodass den Patienten/-innen die mühseligen Gerinnungskontrollen erspart bleiben. Ein dritter Wirkstoff, Apixaban, der ebenfalls den Gerinnungsfaktor Xa hemmt und bereits zur Thrombosenprophylaxe bei Hüft- und Knieoperationen Verwendung findet, dürfte aufgrund sehr guter Studienergebnisse nun ebenfalls vor der Zulassung zur Embolieprophylaxe bei Vorhofflimmern stehen.“
Neue Alternative: Minimalinvasive Thromben-Beseitigung
Es ist seit langem bekannt, dass sich größere Thromben vor allem im Bereich der Halsschlagader oder einem Hauptast, der Arteria cerebri media, durch die medikamentöse Lyse (die Auflösung durch Infusionen mit blutverdünnenden Wirkstoffen) nicht hinreichend auflösen lassen und damit schwere Schlaganfälle zur Folge haben. Hier gibt es neue Hoffnungen: die mechanische Thrombenentfernung (Thrombektomie) mittels Mikrokathetern und minimal-invasiver Hightech-Medizin.
Diskutiert wurden auf dem ENS-Kongress auch neueste Daten zur Thrombektomie, bei der ein winziges „Körbchen“ über einen Katheter bis zu dem verstopften Gefäß im Gehirn geführt wird. Dort wird der Thrombus „eingefangen“ und herausgezogen. „Zu diesem hoch innovativen Verfahren, das in den ersten Stunden nach dem Schlaganfall Sinn macht, insbesondere in Kombination mit der medikamentösen Lyse, gibt es mittlerweile sehr vielversprechende Erfahrungen unter anderem an über 200 Patienten/-innen aus Bern“, berichtete Prof. Stoll. In entsprechend ausgestatteten Zentren könnte dies der Standard der Zukunft für Patienten/-innen mit Verschlüssen großer hirnversorgender Gefäße werden. Ein weiterer Vorteil der Thrombektomie liegt in der Tatsache, dass diese Methode auch bei Patienten/-innen, die unmittelbar nach Operationen oder Eingriffen Schlaganfälle erleiden, sicher angewandt kann, wenn eine Lyse wegen der Blutungsgefahr nicht in Betracht kommt.
Reperfusionsschaden: Erste erfolgversprechende Forschungsansätze
In einer zahlenmäßig beträchtlichen Reihe von Fällen breiten sich Infarkt-bedingte Gehirnschäden jedoch trotz erfolgreicher Lyse und/oder Entfernung des Thrombus weiter aus, ein rätselhafter Vorgang der als Reperfusionsschaden bezeichnet wird. „Unsere jahrelangen Anstrengungen, die Gründe für dieses Paradox herauszufinden, haben nun erste Früchte getragen“, so Prof. Stoll. „Das Endothel, die Innenauskleidung der Gehirngefäße, kann sich durch eine vorübergehende Unterbrechung der Blutzufuhr so verändern, dass Blutplättchen plötzlich an die Gefäßwand binden, aktiviert werden und auch in kleineren nachgeschalteten Hirngefäßen den Blutfluss mindern oder ganz unterbrechen. Wir haben herausgefunden, dass neben Blutplättchen dafür auch Entzündungsprozesse mitverantwortlich sind, insbesondere das Komplementsystem. Im Tierversuch konnten wir nun zeigen, dass ein Wirkstoff, der den sogenannten Komplementfaktor C1 (C1-Esterase) hemmt und der für andere Indikationen beim Menschen bereits zugelassen ist, die Infarktgröße um die Hälfte reduziert, wenn er rechtzeitig nach dem Schlaganfall verabreicht wird. Bis zur klinischen Nutzbarmachung dieser Entdeckung ist es noch ein weiter Weg, doch sie ist ein vielversprechender Weg, auch der Reperfusionsschäden eines Tages Herr zu werden.“
Sorgenkind Schlaganfall: Trotz Erfolgen weiter steigende Opferzahlen
Alle sechs Sekunden stirbt ein Mensch an einem Schlaganfall. Er steht weltweit an zweiter, in den Industriestaaten an dritter Stelle der häufigsten Todesursachen und ist die häufigste Ursache für erworbene Behinderungen im Erwachsenenalter sowie für Pflegebedürftigkeit im Alter. „Obwohl die relative Häufigkeit (Prävalenz) von Schlaganfällen in den westlichen Industriestaaten in den letzten Jahren gesenkt werden konnte, steigen die Fallzahlen auch hier weiter an, denn die wachsende Lebenserwartung macht diese Fortschritte mehr als wett“, so Prof. Stoll. „In den asiatischen Schwellenländern wie China, aber auch den osteuropäischen Ländern, die punkto Lebensstandard in einem Aufholprozess stehen, wächst die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen dramatisch. Schon im Jahr 2030 wird es weltweit jährlich 23 Millionen neue Schlaganfälle geben, mit maximalen Zuwächsen in Low-Income-Ländern, die Absolutzahl der Schlaganfallpatienten/-innen wird auf 62 Millionen ansteigen. Eine interessante neue Erkenntnis ist dabei, dass die Ursachen dafür überall die gleichen sind, also keinerlei kulturelle Spezifika aufweisen.“
Die meisten Ursachen können beeinflusst werden
In großen epidemiologischen Studien ließen sich 10 Faktoren identifizieren, die zusammen 90 Prozent des individuellen Schlaganfallrisikos ausmachen: zu hoher Blutdruck, gefolgt von Rauchen (auch Passiv-Rauchen!), Diabetes, Übergewicht, falscher Ernährung, Bewegungsmangel, Vorhofflimmern, exzessivem Alkoholgenuss, ungünstigen Blutfettwerten und psychosozialen Faktoren wie Stress und Depression. „Aus dieser Liste ergibt sich, dass wir unser Schlaganfallrisiko wesentlich durch Anpassung unseres Lebensstils, Vorsorgeuntersuchungen und regelmäßige Medikamenteneinnahme mitbestimmen können“, so Prof. Stoll.
Quelle: ENS Abstract O 294: C1-inhibitor protects from ischaemic stroke in rodents by combined anti-inflammatory and anti-thrombotic mechanisms.
ENS Pressestelle:
Dr. Birgit Kofler
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