Stammzell-Therapie: Vielversprechende Ansätze – Neurologen/-innen warnen vor unseriösen Anbietern

Aktuelle Forschungsergebnisse geben Anlass zur Hoffnung, dass verschiedene Formen von Stammzellen neue Perspektiven in der Therapie schwerer neurologischer Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson oder MS eröffnen könnten, berichteten Experten/-innen beim Europäischen Neurologenkongress in Prag. Doch angesichts vieler offener Fragen warnen Neurologen/-innen vor gefährlichen Heilsversprechungen unseriöser Anbieter.

Prag, 10. Juni 2012 – „Es gibt heute eine ganze Reihe viel versprechender Forschungsergebnisse, die den Weg zu völlig neuartigen Therapien schwerer neurologischer Erkrankungen mit Stammzellen ebnen könnten“, betonte heute Prof. Dr. Gianvito Martino (San Raffaele Krankenhaus, Mailand) auf dem 22. Meeting der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) in Prag. „Aber wir brauchen noch Zeit, die vielen ungeklärten Fragen zu Sicherheit und Nutzen zu klären. Im Moment ist eine zentrale Botschaft für neurologische Patienten/-innen: Diese Therapien sind noch in einem experimentellen Stadium. Wir müssen Betroffene nachdrücklich warnen, für teures Geld unzureichend geprüfte Behandlungen gegen Parkinson, MS oder Schlaganfall machen zu lassen.“ Spezielle Anbieter in europäischen und außereuropäischen Ländern würden schwer kranke Menschen mit falschen Heilsversprechen locken, obwohl die Therapien nicht zugelassen und zentrale Sicherheitsfragen wie die mögliche Entstehung von Krebs oder Infektionen durch die Implantation von Stammzellen nicht geklärt seien, so Prof. Martino. Der Markt ist attraktiv: Weltweit werden Experten/-innen-Schätzungen zufolge jährlich mehrere Milliarden US-Dollar mit Stammzell-Behandlungen umgesetzt.

„Wir sind trotz aller Fortschritte nicht soweit, in der Neurologie Stammzellen im klinischen Alltag einzusetzen. Gesetzgeber sind aufgerufen, kranke Menschen vor Stammzell-Tourismus und unseriösen Anbietern zu schützen. Patienten/-innen sollten sichergehen, sich nur im Rahmen seriöser, genehmigter klinischer Studien behandeln zu lassen.“ Eine Reihe solcher Studien wurden jetzt beim ENS Kongress in Prag vorgestellt, bei dem rund 3.000 Neurologen/-innen aus aller Welt aktuelle Erkenntnisse aus ihrem Fachgebiet austauschen.
Schlaganfall: Neuronale Stammzellen verbessern die Sensomotorik
Beim Schlaganfall, berichteten etwa britische Forscher/-innen, werden im Rahmen der PISCES Studie jetzt erstmals Patienten/-innen mit einem neuartigen Verfahren behandelt, bei dem speziell hergestellte neuronale Stammzellen in das Umfeld des Hirninfarkts eingebracht werden, um geschädigte Nervenzellen zur Regeneration anzuregen. Die Patienten/-innen werden zehn Jahre lang engmaschig nachkontrolliert werden.
Neuronale Stammzellen sind Zellen, die sich durch Zellteilung selbst erneuern und in verschiedene Zelltypen differenzieren können. Im Tierversuch haben sich die vom Forscher/-innen-Team aus Glasgow mit einem speziellen gentechnischen Verfahren hergestellten Zellen als wirksam erwiesen: Nach einigen Wochen verbesserte sich bei Ratten die durch einen Schlaganfall beeinträchtigte Sensomotorik deutlich.
Parkinson: Bindegewebs-Zellen für das Gehirn
Noch nicht bei der Anwendung beim Menschen angelangt sind die Forscher/-innen, was die Behandlung von Morbus Parkinson betrifft. Doch auch hier konnte ein Team von Mailänder Experten/-innen in Prag Fortschritte berichten. Ziel der Stammzell-Therapie bei der Parkinson Erkrankungen ist es, die beeinträchtigte Dopamin-Produktion im Gehirn durch die Implantation neuronaler Zellen wieder anzuregen. Die italienischen Forscher/-innen haben jetzt eine Methode entwickelt, um den ethisch umstrittenen Einsatz embryonaler Stammzellen zur Herstellung neuronaler Zellen zu umgehen. Durch die Zugabe von drei speziellen Proteinen ist es ihnen gelungen, Zellen aus dem Bindegewebe in so genannte dopaminerge Stammzellen (iDAN) umzuwandeln, also in Dopamin produzierende Zellen, wie sie im Gehirn von Parkinson-Patienten/-innen fehlen. In einem nächsten Schritt muss jetzt überprüft werden, wie diese Zellen am besten in die entsprechenden Gehirnareale transplantiert werden können.
Multiple Sklerose: Doppelte Wirkung
Bei der Multiplen Sklerose (MS) gibt es bereits einige aktuelle Studien am Menschen, berichtete beim ENS Kongress in Prag Prof. Martino. „Zell-basierte Therapien gelten als viel versprechende Möglichkeit, die Myelin-Schutzhüllen der Nervenfasern, die bei MS geschädigt sind, zum Regenerieren zu bringen. Neuronale und mesenchymale Stammzellen und deren Vorläuferzellen haben sich hier als geeignete Tools erwiesen.“ Allerdings ist ihre Wirkungsweise, wie aktuelle Studien zeigen, vielfältiger als ursprünglich gedacht, so der Experte: „Wir beobachten jetzt, dass diese Form von Stammzellen bei der MS nicht nur zerstörte Zellen ersetzen, sondern eine zusätzliche Wirkung entfalten, indem sie Moleküle freisetzen, die einen Schutz für die Nervenzellen bieten.“
Quellen: ENS Symposium: Stem cells ready for clinical practice; ENS Abstract 106: Somatic cell reprogramming into dopaminergic neurons for Parkinson’s disease therapy; ENS Abstract 107: Stem cells in multiple sclerosis: where we are and where we go; ENS Abstract 109: Neural stem cells in ischaemic stroke: from bench-to-bedside.
ENS Pressestelle:

Dr. Birgit Kofler
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