Stress, Kummer und Sorgen fördern erste Alzheimer-Symptome

Warum bricht bei manchen Menschen Morbus Alzheimer aus und bei anderen nicht? Eine neue Studie legt nahe, dass uns akuter Stress oder nagender Kummer vergesslich werden lassen. Die Reaktion auf Todesfälle in der Familie, Unfälle, Gewalt oder finanzielle Sorgen scheinen bei manchen Betroffenen die ersten Symptome zu begünstigen, berichteten Experten/-innen beim Europäischen Neurologenkongress in Prag.

Prag, 10. Juni 2012 – Warum erkranken manche Menschen an Alzheimer und andere nicht? Eine Reihe von Risikofaktoren ist zwar bekannt, etwa fortgeschrittenes Alter, Bluthochdruck, Diabetes oder ein körperlich und geistig inaktiver Lebensstil. Über den ultimativen Krankheitsauslöser herrscht jedoch noch Unklarheit. Ein argentinisches Forscher/-innen-Team hat jetzt Hinweise auf einen möglichen Krankheitsauslöser gefunden: Stress. Der Wissenschaftler Dr. Edgardo Reich (Buenos Aires) stellte dazu eine Studie beim 22. Meeting der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) in Prag vor, wo mehr als 3.000 Experten/-innen neueste Erkenntnisse aus ihrem Fachgebiet austauschen.
Belastende Lebensereignisse als Auslöser
Morbus Alzheimer, die weltweit häufigste Demenzerkrankung, nimmt im älter werdenden Europa pandemische Ausmaße an. Im Jahr 2000 litten 4,7 Millionen Menschen in Europa daran, 2030 werden es etwa acht Millionen, im Jahr 2050 geschätzte zwölf Millionen sein. „Es stimmt natürlich, dass es mehr Betroffene gibt, weil mehr Menschen ein hohes Alter erreichen. Aber man muss nicht zwingend Alzheimer bekommen, weil man über 80 ist. Ausbrechen und Verlauf der Erkrankung sind offenbar nicht nur von biologischen Determinanten abhängig. Auch Umweltfaktoren wie Stress könnten eine Rolle spielen“, führte Dr. Reich aus. In einer aktuellen Studie hat er mit seinem Team analysiert, ob es eine Beziehung zwischen belastenden Lebensereignissen und dem Ausbruch von Morbus Alzheimer gibt.
Untersucht wurden 107 Patienten/-innen, bei denen eine mögliche Alzheimer-Erkrankung in leichtem bis mittlerem Stadium diagnostiziert wurde. Das Durchschnittsalter der Patienten/-innen betrug 72 Jahre. Zwischen dieser Diagnose und dem Auftreten der ersten Symptome waren durchschnittlich 2,5 Jahre vergangen. Der Gruppe der Alzheimer-Patienten/-innen wurde eine Kontrollgruppe mit gesunden Studienteilnehmern/-innen gegenübergestellt, die der Alzheimergruppe hinsichtlich Alter, Geschlechterverteilung und Bildungsniveau entsprach. Beide Gruppen – bzw. Familienangehörige oder Pflegepersonen – wurden befragt, ob es in den letzten drei Jahren vor der Diagnose Alzheimer zu besonderen Belastungen gekommen ist.
Drei von vier Alzheimer Patienten/-innen hatten schwere emotionale Belastungen
„Tatsächlich hatten drei von vier Alzheimer-Patienten/-innen (73 Prozent) schwere seelische Belastungen zu verkraften – dreimal so viele wie in der Kontrollgruppe, in der in den letzten drei Jahren nur 24 Prozent Stress, Kummer und Sorgen erlebt hatten“, berichtete Dr. Reich. Die meisten Belastungen betrafen den Tod des Partners oder der Partnerin (21 Fälle), den Tod eines Kindes (14 Fälle), Gewalterfahrungen durch tätliche Übergriffe oder Raubüberfälle (20 Fälle) oder Autounfälle, die zwar keine schweren körperlichen, dafür aber seelische Verletzungen hinterlassen haben dürften (zehn Fälle). Belastend und damit krankmachend waren auch finanzielle Probleme, „Pensionsschock“, migrationsbedingte Anpassungen oder die Diagnose einer schweren Erkrankung bei einem Familienmitglied.
„Stress ist nach unseren Ergebnissen wohl ein Trigger für erste Demenz-Symptome. Ich schließe zwar aus, dass Stress monokausal Demenz auslösen kann, in der Forschung verdichten sich jedoch die Beweise, dass Stress einen degenerativen Prozess im Gehirn anstoßen kann und eine Dysfunktion in neuroendokrinen und im Immunsystem auslöst“, so Dr. Reich. Weitere Forschungen seien notwendig, um diese Mechanismen im Detail zu erfassen. „Auf der Hand liegt aber jetzt schon, dass mehr als bisher auf die seelische Gesundheit der Menschen geachtet werden sollte, auch und gerade im höheren Alter“, betonte Dr. Reich. 
Quelle: ENS Abstract P 528: Development of Alzheimer’s disease and recent stress events.
ENS Pressestelle:

Dr. Birgit Kofler
B&K Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung
e-mail: kofler@bkkommunikation.com
Tel: +43-1-3194378-13
Mobil: +43-676-6368930
Skype: bkk_Birgit.Kofler

Weiteres Bildmaterial