Europäischer Schmerz-Kongress: Depression verschlimmert Schmerz – und umkehrt

EFIC 2011: VII. Europäischer Schmerz-Kongress, 21.-24. September 2011, Hamburg.

Angstzustände und Depression sind eng verknüpft mit chronischem Schmerz und zählen zu den häufigsten psychiatrischen Begleiterkrankungen bei chronischen Schmerzpatient/-innen, wie verschiedene Studien zeigen, die beim europäischen Schmerz-Kongress in Hamburg vorgestellt werden. Verhaltenstherapien können Betroffenen oft helfen. Dies ist umso wichtiger, als Depressionen Schmerz verschlimmern können.

Hamburg – 21. September 2011 – Ein Teufelskreis: Chronischer Schmerz löst oft Ängste und Depressionen aus, Depressionen verschärfen wiederum oft die Schmerzwahrnehmung. „Schmerz kann nach international anerkannten Definitionen nicht als ausschließlich körperliches Phänomen betrachtet werden“, erklärte Dr. Maria Alexandra Ferreira-Valente (Porto, Portugal). „In Anbetracht der bisherigen Forschungsergebnisse sollten Ärztinnen und Ärzte danach trachten, die Behandlungsprogramme an das Ausmaß der Ängste oder Depressionen ihrer Patienten/-innen anzupassen“, sagte sie beim 7. EFIC Kongress „Pain in Europe VII“, wo aktuelle Studienergebnisse zu diesem Thema vorgestellt wurden. Derzeit diskutieren in Hamburg mehr als 4.000 Experten/-innen über neueste Erkenntnisse der Schmerzforschung und -therapie.

Angstzustände sind „Doping“ für den Schmerz

Dr. Ferreira-Valente untersuchte, inwieweit chronische Schmerzpatienten/-innen für Depressionen und Angstzustände besonders anfällig sind. Analysiert wurden 324 Personen mit vier verschiedenen chronischen Schmerzzuständen. „Ängste und Depression sind stark mit einer höheren Schmerzintensität und Beeinträchtigungen verknüpft. Das lässt keinen Zweifel daran offen, dass eine effektive Therapie nicht darin bestehen kann, Patienten/-innen nur schmerzstillende Medikamente zu verabreichen, während man ihre psychosozialen Lebensumstände außer Acht lässt“, unterstrich Dr. Ferreira-Valente.

Kognitive Pfade und Depression

Dr. Adina Rusu (Bochum und London) und Prof. Dr. Monika Hasenbring (Bochum, D) stießen bei der Präsentation ihrer aktuellen Studie beim EFIC Kongress in dasselbe Horn: „Schmerzbehandlung ausschließlich auf körperlicher Ebene erweist sich oft als insuffizient.“ Zusammen mit Janina Hülsebusch untersuchten sie, ob die Beziehung zwischen Schmerz und Depression durch kognitive Bewältigungsstrategien vermittelt wird, etwa Katastrophisierung, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Gedankenunterdrückung. Das Forschungsteam analysierte 164 akute und subakute Patienten/-innen mit nichtspezifischem Schmerz. Schmerzintensität, Depression und schmerzbezogene Kognitionen wurden mithilfe von Fragebögen gemessen. Die Ergebnisse stützen die Hypothese von einem Vermittlungseffekt kognitiver Bewältigungsstrategien zwischen Schmerz und Depression. „Wir entdeckten, dass Schmerz alleine keine direkte Verbindung zu Depression aufwies. Aber Hilf- und Hoffnungslosigkeit hatten einen direkten Pfad zu Depression, während das Katastrophisieren einen indirekten Effekt über die erhöhte Hilf- und Hoffnungslosigkeit zeigte“, erklärte Dr. Rusu. „Die aktuellen Resultate weisen deutlich darauf hin, dass wir die Behandlungen verbessern könnten, wenn wir der Modifikation von dysfunktionalen kognitiven Schmerzbewältigungsstrategien mehr Beachtung schenken würden“, so ihre Schlussfolgerung.

Psychiatrische Begleiterkrankungen und peripherer neuropathischer Schmerz

„Psychiatrische Begleiterkrankungen, insbesondere Angstzustände und depressive Störungen, kommen sehr häufig bei Patienten/-innen mit peripherem neuropathischen Schmerz vor“, sagte Dr. Françoise Radat (Bordeaux, F) in Hamburg bei der Präsentation ihrer aktuellen Querschnittsstudie. Bei den 212 Studienteilnehmern/-innen stellten sich eine aktuelle Depression und allgemeine Angstzustände als die am häufigsten auftretenden psychiatrischen Störungen heraus (17 Prozent Depression, 12 Prozent Angstzustände). „Aufgrund multivarianter Analysen lässt sich feststellen, dass Katastrophisieren, Schmerz an mehreren Körperstellen und die Intensität von minimalem Schmerz unabhängig voneinander zu Gemütszustandsstörungen beitragen können. Katastrophisieren alleine hingegen macht für Angststörungen empfänglich“, erklärte Dr. Radat. Sie empfiehlt, Patienten/-innen mit peripherem neuropathischen Schmerz in multidisziplinären Teams zu behandeln, in denen auch klinische Psychologen/-innen und andere relevante Spezialisten/-innen vertreten sind.

Keine rosarote Brille für chronische Schmerzpatienten/-innen

Wie blicken chronische Schmerzpatienten/-innen in die Zukunft? „Sicher nicht mit der rosaroten Brille“, ist Dr. Adina Rusu (Bochum) überzeugt. Für ihre jüngste, in Zusammenarbeit mit Prof. Tamar Pincus (London) entstandene Forschungsarbeit, untersuchte sie 174 Erwachsene, die in vier Gruppen aufgeteilt wurden: Eine Gruppe bestand aus Patienten/-innen, die an Schmerzen am Bewegungs- und Stützapparat und an Depressionen litten. In einer anderen Gruppe waren ausschließlich Schmerzpatienten/-innen. In der dritten Gruppe befanden sich schmerzfreie Patienten/-innen, die an einer klinischen Depression litten, die vierte Gruppe versammelte gesunde Kontrollpersonen. Die Teilnehmer/-innen wurden aufgefordert, an mögliche Zukunftserfahrungen zu denken, die an drei verschiedenen Zeitpunkten angesiedelt waren: nächste Woche, nächstes Jahr und in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Depressive Schmerzpatienten/-innen waren in geringerem Maß dazu in der Lage als nicht-depressive Schmerzpatienten/-innen oder gesunde Kontrollpersonen, sich etwas Positives für die Zukunft vorzustellen. Im Gegenteil, sie antizipierten eher Negatives. „Wie hypothetisch angenommen, hatten depressive Schmerzpatienten/-innen im Vergleich zu nicht-depressiven Schmerzpatienten/-innen und gesunden Kontrollpersonen höhere Werte bei den negativen gesundheitsbezogenen Zukunftserfahrungen zu allen drei Zeitpunkten“, sagte Dr. Rusu. „Zukunftsbezogene Ängste und Depressionen könnten der Beweis sein, dass die positive Selbstidentität massiv angeschlagen ist. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich der kognitive Prozess allgemeiner Zukunftsgedanken bei depressiven Schmerzpatienten/-innen nicht unterscheidet von jenem chronischer Schmerzpatienten/-innen, von Menschen mit einer klinischen Depression oder nicht-depressiven Schmerzpatienten/-innen. Allein der Fokus ist völlig anders: Wenn depressive Schmerzpatienten/-innen an die Zukunft denken, liegt das Augenmerk nämlich verstärkt auf der schlechten Gesundheit. Wenn wir unsere Therapiemöglichkeiten verbessern wollen, brauchen wir weiterführende Forschungen, um ein neues, subgruppenspezifisches Behandlungskonzept zu entwickeln. Dass die traditionellen Programme der kognitiven Verhaltenstherapie nicht auf depressive Schmerzpatienten/-innen abgestellt sind, ist ein Problem, das sich lösen ließe“, unterstreicht Dr. Rusu.

Über EFIC und den EFIC-Kongress „Pain in Europe“

Der 1993 gegründete Europäische Dachverband nationaler Schmerzgesellschaften (European Federation of IASP® Chapters – EFIC®) ist eine multidisziplinäre Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Schmerzforschung und -medizin, der derzeit 35 nationale Mitgliedsgesellschaften („Chapters“) derInternational Association for the Study of Pain (IASP®) angehören. Diese nationalen Mitgliedsgesellschaften in 35 Ländern Europas repräsentieren rund 20.000 Ärzte/-innen, Grundlagenforscher/-innen, Pflegepersonen, Physiotherapeuten/-innen, Psychologen/-innen und andere Gesundheitsexperten, die in der Schmerztherapie und Schmerzforschung tätig sind. Die Ziele von EFIC sind Forschung, Aus- und Fortbildung und klinische Behandlungspraxis zum Thema Schmerz zu fördern, sowie als maßgebliche, unabhängige wissenschaftlich fundierte Informationsquelle zu gesundheitspolitischen Themen zur Verfügung zu stehen, die Schmerz und sein Management betreffen. „Pain in Europe VII“ in Hamburg (21. bis 24. September 2011) ist der 7. EFIC-Kongress seit 1995. EFIC-Kongresse sind zu einem beliebten europäischen Forum geworden, 2011 werden bereits mehr als 4.000 Teilnehmer/-innen verzeichnet. Die Kongressteilnehmer/-innen stammen großteils aus Europa, die Delegierten kommen jedoch insgesamt aus 75 Ländern.

Quelle: EFIC Abstracts T426 PSYCHOSOCIAL FACTORS AS PREDICTORS OF DEPRESSION AND ANXIETY IN PATIENTS WITH CHRONIC PAIN; T405 DEPRESSION IN ACUTE AND SUBACUTE BACK PAIN: IS THE RELATIONSHIP BETWEEN PAIN AND DEPRESSION MEDIATED BY COGNITIVE PAIN COPING STRATEGIES?; F508 PSYCHIATRIC COMORBIDITIES OF PERIPHERAL NEUROPATHIC PAIN: A FRENCH CROSS-SECTIONAL STUDY; S408 THE ROLE OF FUTURE COGNITIONS IN PATIENTS WITH CHRONIC PAIN: AN EXAMINATION OF FUTURE EXPERIENCES AND PERCEIVED FUTURE HEALTH

EFIC Pressestelle:
B&K Medien- und Kommunikationsberatung
Dr. Birgit Kofler
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Tel. nach dem Kongress: +43-1-3194378-13
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