Europäischer Schmerz-Kongress: Neuropathischer Schmerz bei Krebs: Europäische Leitlinien fehlen

EFIC 2011: VII. Europäischer Schmerz-Kongress, 21.-24. September 2011, Hamburg Neuropathischer Schmerz bei Krebs: Europäische Leitlinien fehlen.

40 Prozent der Krebspatienten/-innen in Europa leiden an neuropathischen Schmerzen, doch keines der gängigen Medikamente ist für diese spezielle Indikation zugelassen. Daher kommt den Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften eine besondere Bedeutung zu. Diese sind in Europa allerdings sehr uneinheitlich, wie ein aktueller EFIC-Vergleich zeigt.

Hamburg, 21. September 2011 – Neuropathische Schmerzen sind unter Krebspatienten/-innen enorm verbreitet – fast 40 Prozent sind von diesen besonders belastenden Schmerzen betroffen. Hilfe für sie gibt es derzeit nicht in ausreichender Weise. „Gegenwärtig ist kein einziges der gängigen Schmerzmittel für diese Indikation zugelassen“, kritisierte heute EFIC-Präsident o.Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress beim Europäischen Schmerzkongress EFIC 2011. Mehr als 4.000 Experten/-innen diskutieren derzeit in Hamburg neueste Entwicklungen in der Schmerzforschung und -therapie. „Das schafft natürlich Unsicherheiten für die Behandler/-innen, welche Substanzen am besten einzusetzen sind. Daher kommt hier offiziellen Therapieempfehlungen, zum Beispiel von Fachgesellschaften, eine besonders große Bedeutung zu, um für Betroffene dennoch eine adäquate Versorgung sicherzustellen.“

Ein internationales Forschungsteam aus fünf Ländern hat jetzt die Behandlungsempfehlungen nationaler Fachgesellschaften zu neuropathischen Schmerzen speziell bei onkologischen Patienten/-innen europaweit zusammengetragen und verglichen. Insgesamt zog das Team neun Therapie-empfehlungen heran, die zumindest einen Abschnitt zur Behandlung von neuropathischem Schmerz bei Krebspatienten/-innen enthielten und alle Kriterien einer medizinischen Leitlinie (Clinical Practice Guideline – CPG) erfüllten. Die neun medizinischen Leitlinien stammten aus Schottland, Italien, Norwegen, Frankreich, den Niederlanden und Spanien und waren zwischen 2006 und 2010 publiziert worden.

Die Wissenschaftler untersuchten die Leitlinien hinsichtlich ihrer Validität: Dabei wurden große Qualitätsunterschiede gefunden, wie die Experten/-innen beim EFIC Kongress in Hamburg berichteten.

Die Mittelwerte für „Anwendungsbereich und Verwendungszweck“ (80%) und Übersichtlichkeit der Darstellung (61%) waren akzeptabel. Der Bereich der Anwendbarkeit wies den geringsten Mittelwert auf (39%) – nur Norwegen erzielte dabei einen Wert, der über 60% lag. Beim Punkt „redaktionelle Unabhängigkeit“ schnitten fünf Leitlinien schlecht ab. Die norwegische Leitlinie von 2009 erreichte einen Wert von mindestens 60% in jedem Bereich, die niederländische von 2008-1 schaffte mindestens 80% bei vier Punkten. Bei der italienischen Richtlinie lagen fünf Bereiche unter 60%. Sieben Leitlinien bekamen hohe Werte für den Punkt „Anwendungsbereich und Verwendungszweck“. Am besten schnitten die vier Leitlinien ab, die von einer Organisation zur Entwicklung von Leitlinien entworfen worden waren – sie hatten in allen Bereichen die besseren Werte. Zwei der Leitlinien mit den besseren Werten (die schottische und eine niederländische) waren von auf die Erstellung von Leitlinien spezialisierten Instituten entwickelt worden.

EFIC-Präsident fordert strukturiertes Leitlinien-Programm

„Diese Situation ist unbefriedigend. Ob schwer kranke Menschen mit einer angemessenen, leitliniengemäßen Linderung ihrer Leiden rechnen können oder nicht, darf nicht davon abhängen, in welchem Land Europas sie leben. Das dürfen wir nicht hinnehmen“, so EFIC-Präsident Prof. Kress.

„Klinische Behandlungsrichtlinien sollten in Europa im Rahmen eines strukturierten Leitlinien-Programms entwickelt und entsprechend methodologisch unterstützt werden“, unterstreicht Kress. Da ein solches Vorgehen kostspielig und zeitaufwändig ist, fordert er ein einheitlicheres Vorgehen und mehr internationale Zusammenarbeit, etwa über eine multinationale Föderation wie EFIC, um „Betroffenen künftig viel unnötiges Leid zu ersparen.“

„Die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen europäischen medizinischen Leitlinie für die Behandlung von neuropathischem Schmerz bei Krebs ist dringend notwendig. Eine solche Leitlinie würde dazu beitragen, die vorhandenen Ressourcen an Zeit und Geld sowie Know-how und Anstrengungen der Experten/-innen zu bündeln. Auch wirtschaftlich weniger potente Staaten hätten dann die Möglichkeit, sich an einer hochwertigen klinischen Leitlinie zu orientieren, ohne die mit der Entwicklung verbundenen Kosten in vollem Umfang tragen zu müssen“, betonte EFIC-Präsident Prof. Kress.

Über EFIC und den EFIC-Kongress „Pain in Europe“

Der 1993 gegründete Europäische Dachverband nationaler Schmerzgesellschaften (European Federation of IASP® Chapters – EFIC®) ist eine multidisziplinäre Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Schmerzforschung und -medizin, der derzeit 35 nationale Mitgliedsgesellschaften („Chapters“) derInternational Association for the Study of Pain (IASP®) angehören. Diese nationalen Mitgliedsgesellschaften in 35 Ländern Europas repräsentieren rund 20.000 Ärzte/-innen, Grundlagenforscher/-innen, Pflegepersonen, Physiotherapeuten/-innen, Psychologen/-innen und andere Gesundheitsexperten, die in der Schmerztherapie und Schmerzforschung tätig sind. Die Ziele von EFIC sind Forschung, Aus- und Fortbildung und klinische Behandlungspraxis zum Thema Schmerz zu fördern, sowie als maßgebliche, unabhängige wissenschaftlich fundierte Informationsquelle zu gesundheitspolitischen Themen zur Verfügung zu stehen, die Schmerz und sein Management betreffen. „Pain in Europe VII“ in Hamburg (21. bis 24. September 2011) ist der 7. EFIC-Kongress seit 1995. EFIC-Kongresse sind zu einem beliebten europäischen Forum geworden, 2011 werden bereits mehr als 4.000 Teilnehmer/-innen verzeichnet. Die Kongressteilnehmer/-innen stammen großteils aus Europa, die Delegierten kommen jedoch insgesamt aus 75 Ländern.

Quelle: EFIC Abstract S526 ASSESSMENT WITH AGREE II OF EUROPEAN CLINICAL PRACTICE GUIDELINES FOR THE TREATMENT OF NEUROPATHIC PAIN IN CANCER PATIENTS

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