Europäischer Schmerz-Kongress: Schmerz in früher Kindheit kann für’s Leben prägen

EFIC 2011: VII. Europäischer Schmerz-Kongress, 21.-24. September 2011, Hamburg Schmerz in früher Kindheit kann für’s Leben prägen

Schmerzerfahrungen in früher Kindheit können lebenslange Überempfindlichkeit und späteren chronischen Schmerz zur Folge haben, warnen Experten/-innen beim Europäischen Schmerz-Kongresses EFIC in Hamburg. Vermeidbare Schmerzen sollten den Kleinsten also unbedingt erspart werden.

Hamburg, 21. September 2011 – Chronische Schmerzen im Erwachsenenalter könnten auf frühe kindliche Schmerzerfahrungen zurückgehen. „Tierversuche zeigen, dass schmerzhafte Verletzungen in der Zeit nach der Geburt lebenslang zu einer Schmerzüberempfindlichkeit nicht nur des betroffenen Areals, sondern auch insgesamt, führen können“, sagte Prof. Dr. Christiane Hermann (Gießen, D) heute auf dem Europäischen Schmerz-Kongresses EFIC 2011 in Hamburg. „In gleicher Weise zeigen klinische Studien mit Kindern, dass zum Beispiel Operationen im Säuglingsalter später zu verstärkten Schmerzreaktionen auf Routine-Stimuli wie Impfungen führen. Und neue epidemiologische Daten weisen nach, dass die Folgen von Schmerzerfahrungen in der frühen Kindheit bis ins Jugend- und Erwachsenenalter hineinwirken können. Das soll keiner Panik Vorschub leisten, denn wir kennen auch Faktoren, die solche Konsequenzen abpuffern können. Trotzdem sollten wir unseren Kindern risikoerhöhende Erfahrungen nach Möglichkeit ersparen.“

Frühe Schmerzen verändern die schmerzverarbeitenden Systeme

Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass schmerzhafte Impulse, wie etwa durch eine Blutabnahme, bei Säuglingen nicht, wie lange angenommen, lediglich Reflexreaktionen des Rückenmarks auslösen, sondern tatsächlich in den Gehirnzentren der Schmerzwahrnehmung „ankommen“, und zwar bereits bei Frühgeborenen. „Dass solche Erlebnisse lebenslange physiologische Veränderungen der Schmerzverarbeitung bewirken können, demonstrieren jüngste Tierversuche, die zeigen, dass frühe Schmerzerfahrungen unter anderem die Ausreifung schmerzhemmender Systeme, zum Beispiel des sogenannten opioidergen Systems verändern“, erläuterte Prof. Hermann. „Gerade die Zeit unmittelbar nach der Geburt ist bei Frühgeborenen, aber auch bei Neugeborenen eine besonders kritische Phase, weil das schmerzverarbeitende System noch nicht völlig ausgereift ist.“

Veränderte Schmerzwahrnehmung bei Jugendlichen mit frühen Schmerzerlebnissen

Interessante Hinweise liefern auch neue klinische Untersuchungen an Jugendlichen, die als Säuglinge – in einem Alter, in dem das neuronale Schmerzverarbeitungssystem noch nicht fertig entwickelt ist – bereits operiert werden mussten oder die als Kleinkinder schwere Verbrennungen erlitten hatten. „Als 10- bis 16-Jährige zeigen diese Jugendlichen mit frühen Schmerzerfahrungen ein deutlich verändertes Schmerzmuster“, so Prof. Herrmann. „Gegenüber kurzfristigen Reizen ist ihre Schmerzschwelle erhöht, sie spüren zunächst also weniger. Werden solche Reize aber wiederholt, bricht diese Art von Schutzwall jedoch zusammen und darunter tritt eine deutliche Schmerzsensitivierung zutage, wie wir sie von chronischen Schmerzpatienten/-innen kennen.“

Frühe Traumata können chronische Schmerzen mit verursachen

Tatsächlich können auch viel später im Leben auftretende chronische Schmerzsyndrome wie vor allem multilokalisierte, also an vielen Körperstellen gleichzeitig auftretende, Schmerzen des Bewegungsapparates durch frühkindliche Traumata verursacht worden sein. Dies ergab eine aktuelle Analyse mehrerer epidemiologischer Studien zu chronischem Schmerz, die auch die Biographie der Patienten/-innen mit einbezogen. Als mit ursächlich für späteren chronischen Schmerz zeigen sich dabei nicht nur früh erlittene körperliche Schmerzen, sondern auch emotionale Traumata, vor allem der frühe Verlust der Mutter.

Experten/-innen-Rat an Eltern: Keine Panik, Puffer entwickeln

„Der Nachweis derart langfristiger Effekte früher Erlebnisse muss natürlich zu denken geben und sollte dazu führen, Säuglingen jede unnötige Schmerzerfahrung zu ersparen“, forderte Prof. Hermann. „Andererseits gehört Schmerz zum Leben, und es gibt noch viele andere Faktoren, die auf die Muster der Schmerzverarbeitung Einfluss haben, nicht zuletzt das Verhalten der Eltern. Wenn Säuglinge schmerzhaften Erfahrungen ausgesetzt sind, sollten Eltern nicht in Panik verfallen – das würde dem Kind zusätzlich signalisieren, dass gerade etwas Schreckliches mit ihm geschieht – sondern ihm eine aufmerksame, haltende, aber nicht dramatisierende Atmosphäre bieten. Dies kann wie ein Puffer wirken, die Schmerzwahrnehmung dämpfen und der Prägung einer Hypersensitivierung vorbeugen.“

Über EFIC und den EFIC-Kongress „Pain in Europe“

Der 1993 gegründete Europäische Dachverband nationaler Schmerzgesellschaften (European Federation of IASP® Chapters – EFIC®) ist eine multidisziplinäre Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Schmerzforschung und -medizin, der derzeit 35 nationale Mitgliedsgesellschaften („Chapters“) derInternational Association for the Study of Pain (IASP®) angehören. Diese nationalen Mitgliedsgesellschaften in 35 Ländern Europas repräsentieren rund 20.000 Ärzte/-innen, Grundlagenforscher/-innen, Pflegepersonen, Physiotherapeuten/-innen,

Psychologen/-innen und andere Gesundheitsexperten, die in der Schmerztherapie und Schmerzforschung tätig sind. Die Ziele von EFIC sind Forschung, Aus- und Fortbildung und klinische Behandlungspraxis zum Thema Schmerz zu fördern, sowie als maßgebliche, unabhängige wissenschaftlich fundierte Informationsquelle zu gesundheitspolitischen Themen zur Verfügung zu stehen, die Schmerz und sein Management betreffen. „Pain in Europe VII“ in Hamburg (21. bis 24. September 2011) ist der 7. EFIC-Kongress seit 1995. EFIC-Kongresse sind zu einem beliebten europäischen Forum geworden, 2011 werden bereits mehr als 4.000 Teilnehmer/-innen verzeichnet. Die Kongressteilnehmer/-innen stammen großteils aus Europa, die Delegierten kommen jedoch insgesamt aus 75 Ländern.

Quelle: EFIC Abstract 47 EARLY LIFE ADVERSE EXPERIENCES – PAINFUL IN EARLY LIFE, AND BEYOND

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