EHFG 2011: Patientenmobilität „wichtiger Anreiz für Behandlungsqualität“

Patienten/-innen und Gesundheitsdienstleister/-innen überschreiten zunehmend die Grenzen innerhalb der EU, um Behandlungen in Anspruch zu nehmen oder anzubieten.

Neue EU-Vorschriften versuchen diesbezüglich in den Griff zu bekommen, was Bürger/-innen schon lange als ihr Recht ansehen. Die Beweggründe variieren je nach Mitgliedstaat und sozialer Zugehörigkeit, wichtige Faktoren sind aber, ob und wie schnell Patienten/-innen Zugang zu Behandlungen haben, insbesondere zu Spezialangeboten. Obwohl grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung potenziell einen starken Anreiz für die Verbesserung der Qualität der Therapien darstellt, sollte auch Gesundheitstelematik eingesetzt werden, um Reisen über die Grenzen auch vermeiden zu können, sagten Experten/-innen auf dem European Health Forum Gastein.
BadHofgastein,6.Oktober 2011 – „Das grundlegende Prinzip des freien Verkehrs von Personen, Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU schließt auch die Wahlfreiheit von Patienten/-innen ein, die für ihre Bedürfnisse und Vorlieben jeweils beste Gesundheitsversorgung auszusuchen, egal in welchem Land“, sagte Albert van der Zeijden, Vizepräsident des European Health Forum Gastein (EHFG) heute beim jährlichen Kongress der Organisation.
Der Europäische Gerichtshof traf seine erste Entscheidung zu diesem Prinzip bereits 1998. Aber erst heuer haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat formal eine Richtlinie über die Ausübung von Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung angenommen, die mehr Licht in Verwaltung und Kostenerstattung von Patientenmobilität bringen soll. Die Richtlinie regelt die Verantwortung für Qualität und Sicherheit und stärkt die Zusammenarbeit – etwa bei den Netzwerken von Referenzzentren  hoch spezialisierter Versorgungsdienste. Die Richtlinie muss allerdings noch in die Gesetzgebung der Nationalstaaten übernommen werden, wogegen sich einige Länder noch sträuben. Es wird daher vermutlich mehr als die vorgesehenen dreißig Monate dauern und einiges an Diskussionen brauchen, ehe eine einheitliche Richtlinien in der gesamten EU akzeptiert und umgesetzt wird.
 
Für gewöhnlich ziehen Menschen eine Gesundheitsversorgung in Wohnortnähe vor, obwohl die Umfrage „Eurobarometer Survey“ 2007 ergab, dass etwas mehr als die Hälfte der Befragten sich eine Behandlung in einem anderen EU-Staat vorstellen können. „Wie die Umfrage ebenfalls zeigte, ist der raschere Zugang zu einer Behandlung manchmal ein Grund dafür, dass sich Patienten/-innen für ein anderes Land entscheiden. Weitere Gründe sind besondere Spezialisierungen oder weil sich das nächstgelegene Spital gleich über der Grenze befindet“, sagte Albert van der Zeijden. „Obwohl die Kosten nicht prioritär gesehen wurden, sind sie doch immerhin für die Hälfte der befragten EU-Bürger/-innen ein Grund.“
Qualität ist ein starker Anreiz
„Aus Sicht der Patienten/-innen gibt es einen großen Vorteil für eine Behandlung im Ausland: Eine Behandlung jenseits der Grenze ist potenziell ein starker Anreiz dafür, die Behandlungsqualität zu verbessern, da die Gesundheitssysteme die Erfolge des Gesundheitswesens in anderen Ländern berücksichtigen müssen”, meinte Albert van der Zeijden. „So wie bei der Öffnung der Märkte bei Waren, erzeugt Wettbewerb eine größere Effizienz bei der Verbindung von Preis und Qualität. Wenn genügend Patienten/-innen ihrem eigenen Gesundheitswesen ‚weglaufen‘, geraten die Anbieter/-innen vermutlich unter Druck, das zu erklären.“
Auch wenn die Bereitschaft, für eine Behandlung eine Reise auf sich zu nehmen, je nach Mitgliedstaat und sozialer Zugehörigkeit stark variiert, ist nach einem Bericht der Europäischen Kommission von 2007 die Patientenmobilität oft durch Unzufriedenheit mit der heimatlichen Gesundheitsversorgung motiviert.
Sorge über Datenschutz
Laut dem EHFG-Vizepräsidenten „sollten die Patienten/-innen die Freiheit haben, sich für die beste Behandlungsoption zu entscheiden, sollten aber nicht gezwungen werden können, eine Behandlung im Ausland zu akzeptieren. Die Akzeptanz der Behandlung sollte immer auf dem Prinzip eines gut informierten Einverständnisses basieren.“ Das Internet und international ausgebildete Gesundheitsdienstleister/-innen gehören zu jenen Faktoren, die Patienten/-innen zu besser informierten Konsumenten/-innen machen, die auf das Recht bestehen, sich die optimale Versorgung selbst auszusuchen.
Aber „grenzüberschreitende Behandlungen sind auch eine extreme Herausforderung für das Informationsbedürfnis der Patienten/-innen und für den Schutz ihrer Privatsphäre”, so Albert van der Zeijden. „Gesundheitsbezogene Daten sind besonders persönlich, und somit sind der grenzüberschreitende Zugang zu und Austausch von diesen Daten sehr sensibel.“
Die Analyse des „European Data Protection Supervisors“ (EDPS) hat in diesem Zusammenhang zwei zentrale Problemfelder aufgezeigt: unterschiedliche Sicherheitsstandards bei technischen und organisatorischen Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten und die Integration des Datenschutzes bei Gesundheits-Telematikanwendungen. Die Garantie, dass Sicherheit und Schutz der Privatsphäre gewährleistet ist, ist nur so stark wie das schwächste Glied in der Kette, argumentiert der EDPS. Wenn eine Organisation in einem Mitgliedstaat nicht ausreichend wachsam ist, könnte die Sicherheit aller Daten gefährdet sein.
Patienten/-innen mit seltenen Krankheiten
„Grenzüberschreitende Behandlung kann für Menschen mit seltenen Krankheiten eine Angelegenheit von Leben und Tod sein. Subsidiarität darf nie eine Ausrede sein, um jemandem eine solche Behandlung über die Grenzen hinweg zu verwehren“, betonte der EHFG-Vizepräsident. „Patienten/-innen mit seltenen Krankheiten können manchmal in ihrer Umgebung keine Diagnose erstellen lassen oder sie ziehen es vor, in ein Kompetenzzentrum eines anderen Land zu gehen.“ Einige der zwischen 6.000 und 8.000 bekannten „seltenen Krankheiten“ betreffen nur ein paar Dutzend Menschen, während von anderen Hunderttausende geplagt werden. Insgesamt sind zwischen fünf und acht Prozent der EU-Bevölkerung betroffen, das heißt, dass zumindest 25 Millionen Menschen an weitverbreiteten Krankheiten leiden, die als „selten“ bezeichnet werden.
Insgesamt werden grenzüberschreitende Behandlungen immer mehr zur gelebten Praxis. Sie funktionieren in beide Richtungen: Patienten/-innen gehen ins Ausland und Gesundheitspersonal kommt zu den Patienten/-innen. Um die Vorteile künftig zu verstärken, weist Albert van der Zeijden darauf hin, dass „Gesundheitstelematik gezielt eingesetzt  werden sollte, um sowohl Patienten/-innen als auch Behandelnden die Möglichkeit zu geben, vor Ort zu bleiben, während die Behandlung selbst die Grenzen überschreitet.“
Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der EU. Heuer treffen 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern zusammen, um die neuesten Entwicklungen in der Gesundheitspolitik zu diskutieren.
EHFG Press Conference “Health without borders?” 6. Oktober 2011.
EHFG Pressebüro
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