Europäischer Schmerz-Kongress: Migranten/-innen haben intensiveres Schmerzempfinden

EFIC 2011: VII. Europäischer Schmerz-Kongress, 21.-24. September 2011, Hamburg Migranten/-innen haben intensiveres Schmerzempfinden

Ein schwieriger Faktor in der Schmerztherapie ist, dass es je nach kultureller Herkunft große Unterschiede in der Schmerzempfindung oder -beschreibung gibt. Eine aktuelle Schweizer Studie, die beim EFIC Kongress in Hamburg vorgestellt wurde, zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund heftiger an Schmerzen leiden.

Hamburg, 21. September 2011 – Kulturelle Unterschiede bei der Schmerzwahrnehmung und ihre Konsequenzen für die Schmerztherapie wurden heute beim EFIC Kongress „Pain in Europe VII“ erörtert. Mehr als 4.000 Experten/-innen aus aller Welt sind derzeit in Hamburg versammelt, um die jüngsten Entwicklungen aus dem Gebiet der Schmerzforschung und -therapie zu diskutieren. Ulla Kellner, MSc für Schmerzmanagement (Zürich, CH), präsentierte heute eine Studie über die Bedeutung des Migrationshintergrunds für den Behandlungserfolg im Rahmen eines interdisziplinären Schmerzprogramms. Die Forschungsgruppe verglich den psychologischen Gesundheitsstatus und die Schmerzintensität von 118 chronischen Schmerzpatienten/-innen aus Zürich und Umgebung. 50 von ihnen hatten einen Migrationshintergrund. Die Teilnehmer/-innen mussten zu Behandlungsbeginn und -ende sowie drei, sechs und zwölf Monate nach der Intervention Fragebögen ausfüllen.

„Statistisch gesehen unterschieden sich beide Gruppen signifikant in allen Variablen – und die Patienten/-innen mit Migrationshintergrund hatten leider immer die schlechteren Karten“, erklärte Ulla Kellner. Patienten/-innen ohne Migrationshintergrund hatten zu allen gemessenen Zeitpunkten eine deutlich bessere psychologische Funktionsfähigkeit. Sie verbesserten sich in allen Ergebnisvariablen sowohl kurz- als auch langfristig. Patienten/-innen mit Migrationshintergrund dagegen zeigten signifikant höhere Werte hinsichtlich der Schmerzintensität und beim Katastrophisieren, also der falschen und übertriebenen Einschätzung möglicher negativer Ereignisse. „Depression und Angststörungen waren in einem Ausmaß vorhanden, sodass von klinisch relevanten, pathopsychologischen Erkrankungen gesprochen werden muss. Sehr alarmierend war besonders ein Ergebnis: Migranten/-innen konnten ihren Gesundheitszustand nicht nur kurzfristig weniger verbessern, alle Variablen waren bei dem Kontrolltermin nach zwölf Monaten wieder auf den Ausgangswert zurückgefallen“, sagte Ulla Kellner.

Intensivere, kulturspezifische Programme nötig

Die Unterschiede zwischen einzelnen Migranten/-innen-Gruppen sind groß. Ergebnisse anderer Studien aus der Schweiz zeigen, dass Migranten/-innen aus Deutschland, Liechtenstein und Österreich so gut wie Einheimische ihren Gesundheitszustand verbessern können. Doch die Teilnehmer/-innen von Kellners Studie müssen eine ganz andere Situation bewältigen. „Die meisten stammen aus Ex-Jugoslawien und hatten möglicherweise traumatische Erlebnisse durch den Krieg oder eine ungewollte Migration. Sie weisen eine geringe Schulbildung auf und sind oftmals erwerbsunfähig“, berichtete Ulla Kellner. „Die Kombination dieser psychosozialen Stressfaktoren kann die Belastung der Patienten/-innen dermaßen erhöhen, dass sich klinisch relevante Psychopathologien wie Angststörungen und Depressionen entwickeln – oder bestehende Psychopathologien aufrechterhalten werden.“ Sie nimmt an, dass das angewandte Schmerzprogramm nicht intensiv und kulturspezifisch genug war und schlägt Angebote vor, die speziell für fremdsprachige Migranten/-innen zugeschnitten sind. „Eine langfristige Verbesserung der Werte würde eine deutlich intensivere psychologische und psychotherapeutische Betreuung erfordern, als wir sie in unserem Programm anbieten konnten. Zusätzlich wäre eine intensive soziale, ökonomische Beratung und enge Begleitung bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt erforderlich“, betonte Ulla Kellner.

Über EFIC und den EFIC-Kongress „Pain in Europe“

Der 1993 gegründete Europäische Dachverband nationaler Schmerzgesellschaften (European Federation of IASP® Chapters – EFIC®) ist eine multidisziplinäre Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Schmerzforschung und -medizin, der derzeit 35 nationale Mitgliedsgesellschaften („Chapters“) derInternational Association for the Study of Pain (IASP®) angehören. Diese nationalen Mitgliedsgesellschaften in 35 Ländern Europas repräsentieren rund 20.000 Ärzte/-innen, Grundlagenforscher/-innen, Pflegepersonen, Physiotherapeuten/-innen,

Psychologen/-innen und andere Gesundheitsexperten, die in der Schmerztherapie und Schmerzforschung tätig sind. Die Ziele von EFIC sind Forschung, Aus- und Fortbildung und klinische Behandlungspraxis zum Thema Schmerz zu fördern, sowie als maßgebliche, unabhängige wissenschaftlich fundierte Informationsquelle zu gesundheitspolitischen Themen zur Verfügung zu stehen, die Schmerz und sein Management betreffen. „Pain in Europe VII“ in Hamburg (21. bis 24. September 2011) ist der 7. EFIC-Kongress seit 1995. EFIC-Kongresse sind zu einem beliebten europäischen Forum geworden, 2011 werden bereits mehr als 4.000 Teilnehmer/-innen verzeichnet. Die Kongressteilnehmer/-innen stammen großteils aus Europa, die Delegierten kommen jedoch insgesamt aus 75 Ländern.

Quelle: EFIC Abstracts F657 HOW IMPORTANT IS THE MIGRATION BACKGROUND WITH RESPECT TO THE OUTCOME OF AN INTERDISCIPLINARY PAIN PROGRAM?; F662 CHRONIC PAIN IN TRANSCULTURAL PERSPECTIVE – A COMPREHENSIVE PSYCHOSOMATIC REHABILITATION PROGRAM IN THE NETHERLANDS FOR WOMEN WITH A TURKISH BACKGROUND

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