Europäischer Schmerz-Kongress: Kopfschmerz: Neue Medikamente mit weniger Nebenwirkungen

EFIC 2011: VII. Europäischer Schmerz-Kongress, 21.-24. September 2011, Hamburg Kopfschmerz: Neue Medikamente mit weniger Nebenwirkungen und Kontraindikationen, innovative Stimulationstherapien in Entwicklung

Die derzeit gängigen Therapien gegen Migräne zeigen bescheidene Ansprechraten, aber viele Komplikationen und Nebenwirkungen. Neben dem Leiden und der Behinderung der Patienten/-innen verursacht Migräne in Europa jährlich 27 Mrd. Euro an Gesundheitskosten. Studien, die beim Europäischen Schmerz-Kongresses EFIC in Hamburg präsentiert wurden, lassen innerhalb der nächsten zwei Jahre neue Medikamente mit weniger Sicherheitsbedenken erwarten. Fortschritte versprechen sich Forscher/-innen auch von innovativen Methoden der Neuromodulation.

Hamburg, 22. September 2011 – „Die heute verfügbaren Therapien gegen Migräne und Cluster-Kopfschmerz bieten vielen Patienten/-innen keine Hilfe”, sagte Prof. Dr. Jean Schoenen (Liege, BE) heute auf dem Europäischen Schmerz-Kongress EFIC 2011 in Hamburg vor mehr als 4.000 Experten/-innen aus 75 Ländern. „Medikamente zur Prävention von Migräne-Attacken wirken bei nur 50 Prozent der Betroffenen, jene gegen akute Anfälle bei 70 Prozent. Beide sind mit vielen Nebenwirkungen und Kontraindikationen verbunden. Wir freuen uns daher über zwei neue Substanzklassen gegen akute Migräne-Attacken mit weniger Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Sie stehen kurz davor, die Zulassungsbedingungen zu erfüllen und könnten bereits in zwei Jahren auf dem Markt sein.”

Migräne, charakterisiert durch wiederkehrende Attacken heftiger Kopfschmerzen und Übelkeit, ist die häufigste neurologische Erkrankung. Jede/-r fünfte bis siebente Europäer/-in erlebt mindestens einmal im Leben eine Migräne-Attacke. Chronische Migräne, definiert durch mehr als 15 Tage Kopfschmerz und zumindest acht typische Anfälle pro Monat, belastet drei bis fünf Prozent der Bevölkerung und führt zu massiver Behinderung. Cluster-Kopfschmerz wiederum betrifft weniger Menschen (0,1 Prozent der Bevölkerung), ist aber unvergleichlich heftiger. Auch „Selbstmord-Kopfschmerz” genannt, ist er der schlimmste bekannte Typ von Kopfschmerz.

Durchbruch in der Behandlung akuter Migräneattacken

Forscher/-innen sind jetzt zwei größere Durchbrüche gegen akute Migräne-Attacken gelungen. Eine neue Klasse von Medikamenten, die antagonistisch auf den CGRP-Rezeptor (den Rezeptor für Peptide, die mit dem Kalzitonin-Gen zusammenhängen) wirken und im Fachjargon “gepants” genannt werden, ist in der Lage, die Aktivität des trigeminovaskulären Systems hinunterzumodulieren, das als wesentlichster Innervationspfad des Gehirns für Migräne-Kopfschmerz verantwortlich ist. „Diese Substanzen sind ähnlich wirksam wie Triptane, die auf einen Untertyp des Serotonin-Rezeptors wirken und gegenwärtig der wichtigste Ansatz der Behandlung von Migräne und Cluster-Kopfschmerz darstellen, bewirken aber anders als diese keine Verengung der Blutgefäße im ganzen Körper und haben auch sonst praktisch keine Nebenwirkungen. Das macht sie auch für Migränepatienten/-innen mit Gefäßproblemen einsetzbar, für die Triptane nicht in Frage kommen”, so Prof. Schoenen.

Eine weitere neue Substanz, Lasmiditan, wirkt als Agonist auf einen Untertyp des Serotonin-Rezeptors (den 5-HT1F-Rezeptor), was die Ausschüttung von erregenden Neurotransmittern und CGRP im trigeminovaskulären System vermindert. Auch Lasmiditan verengt im Gegensatz zu Triptanen die Gefäße nicht. Wie bei den “gepants” seien daher bei ähnlicher Wirkung weniger Kontraindikationen zu beachten, und Lasmiditan werde auch besser vertragen als Triptane, so Prof. Schoenen.

„Bei beiden Substanzen werden derzeit noch mögliche unerwünschte Wirkungen geprüft. Wir glauben aber, dass sie in zwei bis drei Jahren erhältlich sein und neue Optionen für jene Patienten/-innen bringen werden, für die Triptane kontraindiziert sind, die diese nicht vertragen oder darauf nicht ansprechen”, betonte Prof. Schoenen.

Einigen Migräne-Patienten/-innen könnte Botox helfen

„Da in der Vorbeugung chronischer Migräne kaum eine der verfügbaren Therapien wirkt, sind neue Forschungsergebnisse erfreulich, die positive Effekte von Onabotulinumtoxin A (‘Botox’) als Injektion in die geeigneten Muskelpartien des Kopfes, des Gesichts und des Nackens belegen”, erläuterte Prof. Schoenen. „Es wirkt bei etwa 30 Prozent der Patienten/-innen mit chronischer Migräne, während der Effekt ähnlicher Placebo-Injektionen mit einer physiologischen Kochsalzlösung 12 Prozent beträgt. Der Netto-Effekt von Onabotulinumtoxin A ist also nicht überwältigend, aber wenn man die Spärlichkeit sonstiger Optionen und das praktisch völlige Fehlen von Nebenwirkungen mit einbezieht, könnte es für bestimmte Subgruppen von Patienten/-innen eine Hilfe darstellen. Auf welche Patienten/-innen dies zutrifft, muss in weiteren Studien untersucht werden, um den pharmako-ökonomischen Wert dieser Behandlungsoption zu erhöhen.”

Neuromodulation kann Migräne und Cluster-Kopfschmerz nebenwirkungsfrei dämpfen

Da alle Nervenaktivitäten, die zu Kopfschmerz führen, elektromagnetischer Natur sind, können geeignete elektrische oder elektromagnetische Impulse die schmerz-erzeugenden oder -kontrollierenden Prozesse normalisieren (“modulieren”) – ein Effekt, der auf dem Europäischen Schmerz-Kongress in Hamburg intensiv diskutiert wurde. „Es sind mindestens vier Methoden in Entwicklung, die großes Potential zur Therapie von Migräne- und Cluster-Kopfschmerz haben könnten”, erklärte Prof. Schoenen.

Zwei davon, die Okzipitalnerv-Stimulation (ONS) und die Stimulation des Nervus sphenopalatinus (Nervenstrukturen, die bei der Entstehung heftiger Kopfschmerzen eine wichtige Rolle spielen), arbeiten mit elektrischen Impulsen, die durch kleine, implantierte Stimulatoren ausgesandt werden. Zwei andere Methoden, die transkraniale Magnetstimulation (TMS) und die transkraniale Gleichstrom-Stimulation (tDCS) modulieren die Aktivität ihrer Zielregionen im Gehirn nicht-invasiv durch elektromagnetische Felder externer Geräte, die auf dem Kopf platziert werden.

„ONS hat bereits einige klinische Bedeutung gewonnen. Sie kann in 35 bis 40 Prozent der Fälle chronischer Migräne Attacken vorbeugen und wirkt bei mehr als 60 Prozent der Cluster-Kopfschmerz-Patienten/-innen. Alle anderen Methoden sollten als noch in Entwicklung betrachtet werden, wobei Studien noch im Gange oder gerade geplant sind. Allerdings könnte der Ansatz der nicht- oder minimal-invasiven Neuromodulation den künftigen Königsweg im Kampf gegen unterschiedliche Typen von Kopfschmerz darstellen – ein Weg ohne Belastungen und Nebenwirkungen”, so Prof. Schoenen. „In den nächsten Jahren erwarten wir hier bedeutende Durchbrüche.”

Über EFIC und den EFIC-Kongress „Pain in Europe“

Der 1993 gegründete Europäische Dachverband nationaler Schmerzgesellschaften (European Federation of IASP® Chapters – EFIC®) ist eine multidisziplinäre Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Schmerzforschung und -medizin, der derzeit 35 nationale Mitgliedsgesellschaften („Chapters“) der International Association for the Study of Pain (IASP®) angehören. Diese nationalen Mitgliedsgesellschaften in 35 Ländern Europas repräsentieren rund 20.000 Ärzte/-innen, Grundlagenforscher/-innen, Pflegepersonen, Physiotherapeuten/-innen, Psychologen/-innen und andere Gesundheitsexperten, die in der Schmerztherapie und Schmerzforschung tätig sind. Die Ziele von EFIC sind Forschung, Aus- und Fortbildung und klinische Behandlungspraxis zum Thema Schmerz zu fördern, sowie als maßgebliche, unabhängige wissenschaftlich fundierte Informationsquelle zu gesundheitspolitischen Themen zur Verfügung zu stehen, die Schmerz und sein Management betreffen. „Pain in Europe VII“ in Hamburg (21. bis 24. September 2011) ist der 7. EFIC-Kongress seit 1995. EFIC-Kongresse sind zu einem beliebten europäischen Forum geworden, 2011 werden bereits mehr als 4.000 Teilnehmer/-innen verzeichnet. Die Kongressteilnehmer/-innen stammen großteils aus Europa, die Delegierten kommen jedoch insgesamt aus 75 Ländern.

Quelle: EFIC Abstracts 2 NEURONAL CALCIUM CHANNELS AND MIGRAINE; 4 CLASSIFICATION, EPIDEMIOLOGY AND COST OF HEADACHE DISORDERS; F207 THE EFFECTIVENESS OF BOTOX® INJECTION AND RADIAL SHOCKWAVE THERAPY IN THE MANAGEMENT OF CERVICOGENIC HEADACHE

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