Bei Schlafstörungen nicht nur an psychische Probleme denken – Experten fordern konsequente neurologische Abklärung

Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus können nicht nur psychische Ursachen haben, betonten Experten/-innen heute auf dem Europäischen Neurologenkongress in Prag. Sie fordern eine konsequente neurologische Abklärung: Nur so könnten schwerwiegende Nervenerkrankungen wie Narkolepsie rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung kann auf den späteren Ausbruch von Morbus Parkinson hinweisen, zeigen neue Studien.

Prag, 11. Juni 2012 – „Für einen störungsfreien Schlaf-Wach-Rhythmus ist nicht nur Seelenfrieden nötig, sondern auch ein funktionierendes Gehirn. Neurologische Erkrankungen werden als Ursache von Schlafstörungen immer noch unterschätzt und unterdiagnostiziert“, betonte Prof. Dr. Claudio Bassetti (Universitätsklinik für Neurologie, Bern), President elect der Europäischen Neurologengesellschaft (ENS) heute auf dem 22. ENS-Meeting in Prag. Mehr als 3.000 Experten/-innen aus aller Welt diskutieren hier neueste Erkenntnisse aus ihren Fachgebiet. „Ein besonderes Stiefkind im öffentlichen Bewusstsein ist die Schlafkrankheit oder Narkolepsie. Mehr Augenmerk verdient auch die sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die in vielen Fällen ein Vorbote für Morbus Parkinson ist. Das könnte bereits Jahre vor dem Auftreten erster Bewegungsstörungen ein Gegensteuern ermöglichen.“
Unterschätze Schlafkrankheit Narkolepsie: Unterdiagnostiziert, aber so häufig wie MS
Narkolepsie ist auch für Mediziner/-innen ein nach wie vor rätselhaftes Phänomen: Betroffene werden tagsüber von plötzlichen Attacken exzessiver Müdigkeit überfallen, in denen der Traumschlaf ins Wachbewusstsein eindringt. Beeinträchtigt sind aber nicht nur der Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch Kognition, Motorik und emotionale Verarbeitung. So führen intensive Emotionen wie Lachen zu Stürzen, weil die Kontrolle über die Motorik verloren geht (Kataplexie). „Nach neuesten epidemiologischen Schätzungen ist etwa einer von 2.000 Menschen an Narkolepsie betroffen – also etwa gleich viele wie von Multipler Sklerose. Die Lebensqualität der Betroffenen ist deutlich eingeschränkt, etwa auf dem Niveau von Epilepsie-Patienten/-innen. Dennoch wird die Erforschung dieser Erkrankung sträflich vernachlässigt“, so Prof. Bassetti. „Narkolepsie wird auch im klinischen Alltag häufig unterdiagnostiziert. Dabei wären ihre Symptome gut behandelbar.“
Impfung kann Krankheitsauslöser sein
Trotz bescheidenster finanzieller Ausstattung gelangen in der letzten Zeit Durchbrüche im Verständnis der komplexen Erkrankung, die auf dem ENS-Kongress vorgestellt wurden. „Wir wissen, dass es eine genetische Mit-Ursache geben muss, weil fast alle Narkolepsie-Patienten/-innen eine ganz bestimmte Variante von Blutfaktoren auf den Leukozyten in sich tragen. Diese tritt zwar bei einem Viertel der Bevölkerung auf, aber nur jede/r 500ste entwickelt die Schlafkrankheit. Es muss also zusätzliche Faktoren geben, die auf der Grundlage dieser genetischen Prädisposition den Ausbruch der Krankheit auslösen“, erklärte Prof. Bassetti. „Neueste Daten zeigen, dass es Infektionen und Impfungen sein können, die auf Basis dieser genetischen Eigenart zu einer Autoimmunreaktion des Körpers führen, die sich in Signaldefiziten im neuronalen Netzwerk und Dysfunktionen in mehreren Gehirnregionen äußern. Als einer dieser Auslöser erweist sich immer klarer eine Impfung gegen den H1N1-Influenza-Virus, die in einer signifikanten Anzahl von Fällen zwei bis vier Monate vor dem Ausbruch der Schlafkrankheit verabreicht wurde.“
REM-Schlaf-Verhaltensstörung: Warnsignal für Morbus Parkinson
Auf dem Europäischen Neurologenkongress in Prag  wurden auch neue Daten zu erst kürzlich entdeckten Zusammenhängen zwischen der REM-Schlaf-Verhaltensstörung (Schenk-Syndrom) und der Entwicklung von Morbus Parkinson präsentiert. „Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung besteht im Verlust der sogenannten physiologischen Paralyse, die bei gesunden Menschen für ein Erschlaffen der Muskulatur während des Traumschlafes sorgt und verhindert, dass sie die inneren Erlebnisse ihrer Träume körperlich ausdrücken“, so Prof. Bassetti. Geht diese Hemmung verloren, bewegen sich die Betroffenen in der REM-Phase, schreien, treten und schlagen um sich und verletzen sich selbst und ihre Partner/-innen.
„Wir haben nun herausgefunden, dass der Verlust der physiologischen Bewegungshemmung im Traumschlaf einem Prozess im Gehirn entspringt, der unter anderem auch für Morbus Parkinson typisch ist. Tatsächlich zeigt sich, dass bei vielen Parkinson-Patienten/-innen schon Jahre, bevor die ersten Bewegungsstörungen tagsüber sichtbar wurden, in der Nacht das Schenk-Syndrom aufgetreten ist“, berichtete Prof. Bassetti. „Wir müssen dieses Faktum nun in neurologischen und allgemein-medizinischen Fortbildungen vehement ins Bewusstsein bringen. Da es begründete Hoffnungen gibt, dass eine neue Gruppe von Medikamenten den Ausbruch von Morbus Parkinson verhindern oder zumindest verzögern könnte, kann die Früherkennung und ein rascher Therapiebeginn entscheidend für die Lebensqualität Betroffener sein.“
Bewegungen im Schlaf als Hinweis auf Epilepsie
Schreie oder heftige Bewegungen im Schlaf können aber auch andere Ursachen haben: „Rund ein Drittel aller epileptischen Anfälle erfolgt im Schlaf, mit einem ganz ähnlichen Erscheinungsbild wie dem Schenk-Syndrom“, erklärte Prof. Bassetti. „Das ist nicht einfach zu erkennen. Bei entsprechenden Symptomen sollte aber immer auch an Epilepsie gedacht werden, die dann mit einem Antiepileptikum gut zu therapieren ist.“
Schlafstörungen ernst nehmen
„Diese Erkenntnisse zeigen, dass viele Zustände, die oberflächlich betrachtet bloß als Folge psychischer Probleme erscheinen, Hinweise auf schwere neurologische Erkrankungen sein können und daher ernst genommen werden müssen“, betonte Prof. Bassetti. „Darauf müssen wir verstärkte Aufmerksamkeit richten, denn nur wenn sie abgeklärt sind, können wir den Patienten/-innen das Krankheitsleid lindern.“
Quelle: ENS Abstract P 425: Intravenous immunoglobulin treatment in post H1N1 vaccination narcolepsy –cataplexy.
ENS Pressestelle:
Dr. Birgit Kofler
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